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Im 18. und 19. Jahrhundert wetteiferten die europäischen Königshäuser darum, in welchem herrschaftlichen Garten die zartesten Birnen gezogen wurden.

Baum
Peter Meyer/aid

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Pomologen wollen alte Birnensorten bewahren

Im 18. und 19. Jahrhundert wetteiferten die europäischen Königshäuser darum, in welchem herrschaftlichen Garten die zartesten Birnen gezogen wurden. Rund 2.000 Sorten wurden in der Blütezeit der Pomologie (Lehre von den Obstarten und den Obstsorten) von etwa 1850 bis 1900 in Europa beschrieben. Heute fristet die Birne in der Gunst sowohl von Verbrauchern als auch
von Gartenbesitzern ein Schattendasein hinter dem Apfel. 

Das wirkt sich auch auf die Sortenvielfalt aus. Heute beherrschen hierzulande rund zehn Sorten den Handel, allen voran Alexander Lukas, Conférence und Abbé Fétel. „Um für den Erwerbsanbau geeignet zu sein, müssen Birnen regelmäßig einen hohen Ertrag erbringen und zudem gut lager- und transportfähig sein“, fasst Jan Bade, hauptberuflicher Pomologe aus Niederkaufungen bei Kassel zusammen. „Geschmack, Saftigkeit, Säuregehalt und andere Eigenschaften werden untergeordnet.“ Viele alte Sorten sind entweder verschwunden oder in Vergessenheit geraten. 

Jan Bade hat es sich zur Lebensaufgabe gemacht, sie zu bewahren. Der gebürtige Hamburger ist einer der wenigen Experten für alte Birnensorten, ein Experte aus Leidenschaft. „In der Saison kommen fast täglich Pakete mit Früchten und der Bitte um Bestimmung von Privatleuten, von Baumschulen, über Pomologen-Vereine oder auch regionale Kartierungsprojekte hier an“, erläutert der gebürtige Hamburger. Jede Einsendung sortiert er nach dem Reifezeitpunkt. Das ist nicht nur ein wichtiges Kriterium für die Sortenbestimmung, sondern auch eine praktische Notwendigkeit. Der Pomologe kommt kaum hinterher mit der Analyse der eingehenden Früchte. Er arbeitet ständig an der Gammelkante entlang. Was er nicht rechtzeitig vor dem Verfall probiert, beschreibt, kartiert und vielleicht sogar bestimmt, ist verloren.

Die Sortenbestimmung erinnert an die Arbeit eines Detektives. Sie beginnt von außen. Größe und Form der Frucht und des Stils geben wertvolle Hinweise, die Struktur der Schale ebenfalls. Ihre Farbe hingegen ist vergleichsweise nichtssagend. Dann schneidet Jan Bade die Birne auf, begutachtet Farbe und Struktur des Fruchtfleisches, das Kerngehäuse und die Samen. Und schließlich kostet er. Sobald er reingebissen hat, sind die äußeren Merkmale zerstört. Deshalb ist er dankbar, wenn er nicht nur einzelne Früchte, sondern fünf, besser noch zehn Birnen geschickt bekommt und mehrfach testen oder vergleichen kann. Alle Daten erfasst Jan Bade schriftlich, macht Fotos und vergleicht alles mit bereits vorliegenden Sortenbeschreibungen und mit seiner Sammlung. Manchmal, aber bei Weitem nicht immer wird er bei einem solchen Abgleich fündig. „Ich würde schätzen, dass von den einmal beschriebenen 2000 Sorten heute noch 1000 irgendwo in der Landschaft stehen und dass es dazu außerdem in jeder Region noch zahlreiche Sorten gibt, die noch nie beschrieben wurden“, meint der Pomologe. Für Birnensorten, die er nicht bestimmen kann, vergibt Jan Bade Arbeitsnamen. Auf diese Weise kann er wenigstens sein Wissen sichern und zuordnen. Von August bis Dezember arbeitet er die Einsendungen ab, wie ein Detektiv am Fließband. Zwischendurch stehen Vorträge, Sortenbestimmungen vor Ort und Baumschnittkurse auf dem Programm. Am Ende des Jahres kann der Pomologe keine Birnen mehr sehen, erst recht nicht riechen oder gar genießen. 

Das Bestimmen der Birnensorten ist eine Sache. Ihr Erhalt eine andere. Um eine Sorte Birne zu vermehren, braucht man Reiser, also einjährige Zweige, die vom Baum geschnitten wurden. Wenn der letzte Baum einer Sorte stirbt, ist diese unwiederbringlich verloren. Also sammelt Jan Bade Edelreiser von möglichst vielen Sorten und pflanzt diese auf der rund fünf Hektar großen Streuobstwiese. Er wählt dafür stark wachsende Unterlagen, um eine lange Lebensdauer der Bäume zu sichern. Doch die brauchen viel Platz. Und der ist nur begrenzt vorhanden. Also hat der Pomologe auf manch eine Unterlage Edelreiser mehrerer Sorten gesetzt. Rund 400 Birnensorten gedeihen zurzeit auf den 250 Bäumen in Niederkaufungen. Und immer noch stößt der Experte immer wieder auf Sorten, die er gerne erhalten würde. „Gefühlt hätte ich vor fünf Jahren gesagt: Jetzt müssen wir aber bald durch sein“, schmunzelt Jan Bade. „Doch der Trend in diese Richtung ist immer noch sehr stark. Das Bewusstsein der Menschen hat sich geändert.“ Sie entdecken nach den alten Apfelsorten nun auch die alten Birnensorten wieder. Ein Motor in dieser Entwicklung sind beispielsweise Gartenbesitzer mit einem stark ausgeprägten ökologischen Bewusstsein oder Selbstversorgungsgedanken, so die Beobachtung von Bernhard von Ehren vom Bund Deutscher Baumschulen. „Wir stellen fest, dass mit dem Kauf einer alten Obstbaumsorte oft auch ein emotionales Bedürfnis gestillt wird. Hier trifft der Wunsch nach dem Obst aus dem eigenen Garten mit dem Bedürfnis nach traditionellen Werten zusammen.“ Die Nachfrage beflügelt Züchter und Händler. Gut sortierte Baumschulen haben mittlerweile eine recht große Auswahl auch an Birnen-Oldies zu bieten.

Diese sind den Sorten aus dem Ertragsgartenbau in mancherlei Hinsicht überlegen: Regionale Sorten haben sich über viele Jahre bewährt und an spezifische Standortbedingungen angepasst. Sie sind sehr robust und wenig anfällig für Krankheiten. Darüber hinaus erweitern sie das Spektrum der Aromen und der Verwendungsmöglichkeiten
erheblich. „Moderne Tafelbirnen sind gerade für die Weiterverarbeitung zu Most oder Maische, aber auch zum Backen oder Trocknen weniger geeignet als viele alte Sorten“, sagt Brigitte Steinwender vom Landfrauenverband Baden- Württemberg. „Für den Most und zum Dörren haben beispielsweise in unserer Region die stark säurehaltige Palmischbirne
oder auch die Champagner-Bratbirne einen festen Platz.“ Und im Kuchen mache sich die weiche Congress-Birne besonders gut. Im Norden sind die Lübecker Sommerbergamotte oder auch die ‚Gräfin von Paris‘ häufiger zu finden – die perfekte Kochbirne für Birnen, Bohnen und Speck. Im Raum Aachen hat die Beggendorfer Mehlbirne zahlreiche Anhänger. Sie kommt als Mus auf den ‚Schwazze Flaa‘, der traditionell als Kuchen nach Beerdigungen gereicht wird.

Auch wenn solche Sorten bei Liebhabern durchaus einen Platz im Garten finden – das reicht zumindest aktuell noch nicht aus, um sie aus dem Schattendasein zurück zu holen. „Ich wüsste von keiner Region, wo eine fast vergessene Birne wieder etabliert werden konnte, so wie es beispielsweise mit dem Finkenwerder Herbstprinz bei den Äpfeln gelungen ist“, urteilt Pomologe Bade.

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Die Autorin

Eva Neumann

Eva Neumann arbeitet seit 2002 als freie Journalistin. Sie hat sich vor allem auf die Bereiche Ernährung und Garten spezialisiert und schreibt aktuell vorrangig für Zeitschriften.