Aufzucht von Wagyu-Rindern in Deutschland
Der neueste Trend unter Feinschmeckern heißt Wagyu. Die in Japan Kobe genannten Rinder werden von einigen wenigen Landwirten in Deutschland mit viel Aufwand gezüchtet und gehalten. Sind sie eine Alternative zur Massenproduktion?
Melanie Holtmanns Augen strahlen. Heute ist ein wichtiger Tag für die Landwirtin. Erwartungsvoll schaut sie durch den gekachelten Raum zu Josef Hauwe, der an einem Nirostatisch steht, neben dem zwei Rinderviertel am Haken hängen. Vor dem Schlachtermeister liegt eine frisch geschnittene Scheibe Roastbeef. Ein gleichmäßiges Netz aus weißen Fettäderchen zieht sich durch das Fleisch. Josef Hauwe nickt. „Die Maserung sieht bestens aus, der Grad der Marmorierung liegt um die Zehn.“ So hat Melanie Holtmann sich das gewünscht. „Vor dem Zerlegen weiß man das nie genau – das ist wie bei einem Überraschungsei“, sagt sie. Ein Marmorierungsgrad von Zehn ist ungewöhnlich. Aber dieses Fleisch ist auch kein gewöhnliches Rindfleisch, sondern das eines Wagyu-Bullen. Er liefert eines der teuersten und exklusivsten Lebensmittel der Welt.
Die ursprünglich aus Japan stammende Rinderrasse ist unter Gourmets gerade wegen ihrer intramuskulären Fetteinlagerungen beliebt. Fett ist ein Aromaträger. Je feiner und gleichmäßiger es sich durch das Fleisch zieht, desto besser. „Mit dieser Marmorierung schmeckt es schön saftig, nussig und butterig und entspricht in seiner Zartheit genau den Wünschen unserer Kunden.“ Als angenehmen Nebeneffekt hat das Wagyu-Fleisch einen bis zu 50 Prozent höheren Anteil an ungesättigten Fettsäuren als andere Rinderrassen. Und was viele der gut betuchten Kunden außerdem reizt: Das Fleisch ist nicht immer verfügbar. „Wir schlachten nur zweimal im Jahr.“ Melanie Holtmann wendet sich wieder dem Stapel Papiere zu und blättert durch die Listen mit Bestellungen.
Kunden: Anspruchsvolle Feinschmecker
„Die Kunden haben genaue Vorstellungen, wie das Fleisch zerlegt und geschnitten werden soll.“ Melanie Holtmann ruft Anweisungen durch den Raum. Über die Größe und Form der Stücke, wie viel Fett an ihnen bleiben oder was mit dem Knochen geschehen soll. Josef Hauwe und seine beiden Gesellen arbeiten konzentriert. Jeder Schnitt sitzt. Anschließend schweißt die Landwirtin T-Bone-, Hüft- oder Ribeye-Steaks, Tafelspitz, Filet, Bürgermeisterstück, aber auch Unterschale, Kugel, Schaufeldeckel oder Backe in Folie ein und beschriftet die Pakete. Über neunzig Prozent des Fleisches sind vorbestellt – zum Teil seit Wochen. „Wenn uns nur Bestellungen über Steaks und Filet vorliegen, schlachten wir nicht“, sagt Melanie Holtmann. Dazu sind die Tiere, die sie zusammen mit ihrem Mann Reinhard auf ihrem Hof im Münsterland züchtet und aufzieht, zu wertvoll.
Josef Hauwe kommt mit einem der beiden Filetstränge herüber. Der Wert des Stücks liegt bei knapp eintausend Euro. Das kann Begehrlichkeiten wecken. Der kleinen Landschlachterei in Datteln aber vertraut Melanie Holtmann. „In diesem Betrieb kann ich sicher sein, auch das Fleisch von dem Tier zu bekommen, das ich hingebracht habe.“ Sie transportiert es selbst mit dem eigenen Anhänger, den die Tiere von den regelmäßigen Fahrten zum Wiegen schon kennen. Vor der Schlachtung stehen sie dann bei Hauwe im Stall auf Stroh und unter einer Wärmelampe. „Richtig gemütlich“, sagt Melanie Holtmann und begutachtet das Filet. Es ist für den Kapitän eines Kreuzfahrtschiffes, der damit zu seinem 60. Geburtstag seine engsten Freunde bekochen will. Dem besten Freund will er die Filetspitzen schenken. Josef Hauwe schneidet ein Stück Spitze von ungefähr einem Kilogramm ab. Melanie Holtmann schweißt es ein.
Fleisch: Exquisite Maserung
Um die 250 Euro kostet ein Kilogramm Filet. Roastbeef und Rib Eye sind für 170 Euro zu haben. Selbst ein Kilogramm Nacken kostet noch 50 Euro. Und die Preise von Melanie Holtmann und ihrem Mann sind noch moderat. „Es gibt Züchter in der Nähe größerer Städte, die verkaufen das Filet für 600 Euro.“ Die Privatkunden gehören definitiv den hohen Einkommensgruppen an. Es sind Inhaber von Werbeagenturen, Rechtsanwälte, Industrielle oder Immobilienunternehmer. Aber selbst für sie kommt ein Stück Wagyu nur zu besonderen Anlässen auf den Teller. Melanie Holtmann verkauft das Fleisch zudem an Gastronomen und Fernsehköche wie Björn Freitag. Auch Tim Mälzer hat bei den Holtmanns schon einmal einen halben Wagyu-Bullen gekauft. Dafür wechselt dann fast der Wert eines Kleinwagens den Besitzer.
Einerseits hat der Preis etwas mit dem Markt zu tun. Es gibt nur wenige reinrassige Wagyu-Rinder in Deutschland. Der Wagyu-Verband Deutschland, dem knapp dreißig Züchter angehören, gibt den Bestand mit 600 Tieren an. Nur ein Zehntel davon wird jedes Jahr geschlachtet. Die Nachfrage ist dann entsprechend groß. Zwar bieten mittlerweile auch Supermärkte und Gourmetversender Wagyu-Fleisch aus den USA, Australien oder Neuseeland an. Es stammt nur nicht unbedingt von reinrassigen Tieren, sondern von zum Beispiel mit einem Angus-Rind gekreuzten Wagyu. „Das schmeckt zwar auch gut, hat mit dem Fleisch reinrassiger Tiere aber nicht viel zu tun, auch weil das Wagyu in der Kreuzung nicht sehr dominant ist“, sagt Melanie Holtmann.
Züchter: Erfolgreiche Unternehmer
Wagyu heißt übersetzt „japanisches Rind“. Besser bekannt ist es unter dem Namen Kobe-Rind. So aber darf es nur genannt werden, wenn das Tier in der Region Kobe geboren, aufgezogen, gemästet und geschlachtet wurde. Das ist wie beim Champagner, der auch nur so heißen darf, wenn er aus dem entsprechenden Anbaugebiet stammt. Wagyu dagegen ist kein gesetzlich geschützter Begriff.
Neben dem Genmaterial der Tiere ist es die Aufzucht, die das Besondere an dem Fleisch der in Deutschland gezüchteten Wagyus ausmacht. „Ein Wagyu ist wie eine langsam wachsende Eiche“, sagt Reinhard Holtmann. Er muss es wissen, schließlich säumen ein paar stattliche Eichen die Einfahrt zum Bauernhof der Familie. Das Anwesen mit seinen alten, dunklen Rotklinkergebäuden wird seit 1765 von den Vorfahren Holtmanns geführt. Die Familie bebaut einhundert Hektar mit Weizen, Gerste oder Mais. In den Ställen stehen 150 Fleckvieh-Rinder und 1100 Mastschweine für die Fleischproduktion. Die Herde der Wagyus beschränkt sich auf überschaubare zwanzig Tiere. „Mit denen machen wir genau das Gegenteil der konventionellen Aufzucht.“ Ein Fleckvieh verlässt nach eineinhalb Jahren den Stall in Richtung Schlachthaus. Die relativ kleinen und leichten Wagyus brauchen doppelt so lange bis zur Schlachtreife.
Zeit ist aber längst nicht alles. Das zweite Zauberwort heißt Zuwendung. Hinter Reinhard Holtmann versucht Erik Loddenkemper, der landwirtschaftliche Praktikant, Bernd zur Massage zu bewegen. Doch der stattliche Ochse will heute nicht so recht unter die Waschmaschinentrommel-große Bürste, die an der Wand des Stalles hängt und sich bei Berührung sanft zu drehen beginnt. Sie bietet zwar keine Massage wie sie Kobe-Rindern in Japan zukommt, die von Hand massiert und dabei mit Reiswein besprüht werden sollen. Trotzdem hilft die Bürste gegen Juckreiz, so dass der Ochse sich nicht scheuern und kratzen muss, wobei er Gewicht und Fett verlieren würde. Bei der Wagyuzucht ist Ruhe wichtig. In Japan verbringen sie deshalb ihr ganzes Leben in einer engen Box. „Das wollen und dürfen wir nicht“, sagt Reinhard Holtmann. Zwanzig Monate leben seine Wagyus sogar überwiegend auf der Weide. Dann haben sie zwar schon das angestrebteGewicht, aber noch nicht das gewünschte Fett aufgebaut. Das geschieht im Stall bei hochenergetischem Futter mit Getreidezusätzen und Mineralstoffen. „Wichtig ist der richtige Spagat zwischen extensiver und intensiver Haltung sowie das richtige Maß an energiereichem Futter.“ Dem wird im Stall zusätzlich Biertrester beigemischt. Die beim Brauen anfallenden Malzrückstände enthalten viel Eiweiß, vor allem aber Vitamin B12. „Das regt den Appetit an und beruhigt – genau wie die Musik.“ Reinhard Holtmann zeigt auf den CD-Spieler, der auf einem staubigen Regal im Stall steht. Bali Chillout-Musik oder Simon & Garfunkel spielt er den Wagyus vor, manchmal auch Radio. „Heavy Metal würde nicht so gut passen“, sagt Holtmann und grinst. Die Musik beruhigt, weil sie andere, weniger monotone Geräusche ausblendet wie Verkehrslärm oder das Rufen der spielenden Kinder.
So sehr die Wagyus auf dem Hof im Münsterland zur Ruhe kommen – ihre Halter rotieren: die aufwändige Aufzucht, das erforderliche Marketing, die Begleitung von Schlachten und Zerlegen, die persönliche Auslieferung an einige Kunden oder der Betrieb des neuen, eigenen Kühlhauses, wo das Fleisch ausreichend lange lagern kann. Langeweile kommt nicht auf, seit Reinhard Holtmann vor zwei Jahren im Halbschlaf auf der Couch in einer TVDokumentation von einem Luxushotel in Dubai und dem besonderen Fleisch erfuhr. Fortan hat ihn das Thema nicht mehr losgelassen. „Wir wollten immer schon etwas abseits von Massenproduktion und Alltagstrott machen“, erklärt er. Doch zunächst bekam das rührige Landwirt-Paar einen kräftigen Dämpfer: 70.000 Euro sollte eine Mutterkuh kosten. „Wir haben uns dann erstmal von der Idee verabschiedet.“ Zum Glück lernte Reinhard Holtmann den Genetik-Händler und Rinderexperten Hubertus Diers kennen. Der verkaufte ihm reinrassige Embryonen. Man gewinnt sie durch Spülung trächtiger Tiere und setzt sie Leihmüttern ein. Das sind meist Schwarzbunte Kühe. Aber auch diese Methode ist teuer, wenn man eine Herde aufbauen will. Jeder Embryo kostet eintausend Euro. Nur eines von den drei gekauften wuchs an, was eine durchaus übliche Erfolgsquote ist. Für den Preis dieser Anfangsinvestition alleine hätten die Holtmanns fünf Fleckviehkälber kaufen können. Hinzu kommen die Kosten für die lange Haltung. Dafür bringt ein Wagyu-Ochse – die Kühe sind zu kostbar für die Schlachtung – später um die 10.000 Euro ein. Und neben der Produktion von Edelfleisch für Kunden in ganz Deutschland verkaufen die Holtmanns mittlerweile Embryonen – und das europaweit.
Nach wie vor ist der Export von Kobe-Fleisch aus Japan, geschweige denn von lebenden Rindern oder deren Samen streng verboten. Die heutige Population von Wagyu-Rindern außerhalb Japans erwuchs aus Tieren, die zu wissenschaftlichen Zwecken Mitte der 1990er-Jahre in die USA exportiert wurden. In Deutschland kamen 2006 die ersten Wagyus zur Welt. Mittlerweile gibt es in einigen Bundesländern sogar Herdbücher für die Rasse. Voraussetzung für den Herdbucheintrag ist zusätzlich zur klassischen Zuchtwertschätzung eine DNA-Analyse, bei der die genetische Veranlagung für Marmorierung und Zartheit typisiert wird. Weil die Rasse nicht stark durchgezüchtet ist, können diese Merkmale bei den einzelnen Tieren sehr unterschiedlich ausfallen.
Die Holtmanns schreiben mit ihrer Wagyu-Zucht mittlerweile eine schwarze Null – und sind damit sehr zufrieden. Die Nachfrage übersteigt das Angebot. Zudem tun sich immer neue Marktideen auf, zum Beispiel der Pensionsbetrieb für Wagyus mit Webcam. Das eigene Wagyu ist in einigen Kreisen mittlerweile zum Statussymbol geworden. Sportwagen, Segelyacht, ∩ Wagyu. Und die haben es bei den Holtmanns richtig gut.