Der Ernährungssektor spielt für eine nachhaltige Entwicklung eine zentrale Rolle. Alle 17 Sustainable Development Goals (SDGs) der Vereinten Nationen (2015) sind damit verknüpft. Das Bundesinstitut für Berufsbildung (BIBB) fördert mit Mitteln des Bundesministeriums für Bildung und Forschung (BMBF) Modellversuche mit der Idee, über die berufliche Bildung zur nachhaltigen Entwicklung beizutragen. Der Schwerpunkt liegt auf Berufen im Lebensmittelhandwerk und in der Lebensmittelindustrie.
Ausbildung als Impuls
Seit zwei Dekaden wird nachhaltiges Handeln in der beruflichen Bildung staatlich gefördert. In diesem Rahmen wurden zum Beispiel für die Ernährungs- und Hauswirtschaftsberufe curriculare Entwicklungsarbeit für die berufliche Ausbildung geleistet und das Potenzial für nachhaltiges berufliches Handeln im Bereich Ernährung aufgezeigt.
Rolle des Lebensmittelhandels
Lebensmittelbetriebe sind wichtige Partner, um eine nachhaltige Entwicklung im Bereich Ernährung voranzutreiben. Obwohl gerade Berufe in diesem Segment viel Potenzial bieten, um bei Verbrauchern einen nachhaltigen Einkauf zu fördern, ist Nachhaltigkeit in den Rahmenlehrplänen und im beruflichen Alltag nicht systematisch verortet.
Potenzial von Change Agents
Die derzeitig laufenden Modellversuche in der beruflichen Bildung setzen bei den Auszubildenden an, um über sie als Change Agents eine stärkere Verankerung von Nachhaltigkeit im Berufsalltag zu erreichen.
Der Begriff Change Agent stammt aus den Sozial- und Kommunikationswissenschaften. Unternehmensberater aus dem betrieblichen Change Management griffen ihn in den 1990er-Jahren auf. Heute spielt er auch im Kontext der nachhaltigen Entwicklung eine Rolle. Change Agents sind hier Personen, die die Transformation im Sinne der Agenda 2030 vorantreiben.
Die Herausforderung besteht darin, die Nachhaltigkeitskompetenzen in allen Bereichen mit dem berufsspezifischen Wissen zu verknüpfen, damit die Change Agents ihr Potenzial nutzen und den Nachhaltigkeitsgedanken in ihrem Berufsalltag vorantreiben können. In der Verbraucherkommunikation liegt besonderes Augenmerk auf den Change Agents als mögliche Multiplikatoren der informalen Ernährungsbildung. Sie fungieren als Schnittstelle zwischen Verbraucher und Konsumgut, indem sie beispielsweise Auskunft über nachhaltige Verarbeitungsprozesse und Inhaltsstoffe der Produkte geben. Hier sind die Nachhaltigkeitskompetenzen der Berufsträger wichtige Stellschrauben, um Informationen und damit Impulse für nachhaltige Kaufentscheidungen zu geben.
Junge Erwachsene als sachkundige Change Agents
Damit Auszubildende als Change Agents wirksam sein können, müssen sie lernen, Kundenfragen zum Beispiel zu ökologischen oder sozialen Produktionsbedingungen sachkundig zu beantworten. Aber auch wenn Verbraucher kein oder wenig Interesse beispielsweise an fairen Preisen von Milch, an der Herkunft des Getreides ihrer Brötchen oder dem Unterschied zwischen Bio- und konventioneller Ware zeigen, haben Auszubildende die Möglichkeit in der (in)direkten Interaktion mit den Kunden Denkanstöße zu nachhaltigem Konsum zu geben. Diese Interaktionen bergen besonderes Potenzial, weil Auszubildende auch die Verbraucher erreichen können, die die Institution Schule mit der Vermittlung von Ernährungs- und Verbraucherbildung nicht (mehr) erreicht. Das ist die Mehrheit der Bevölkerung. Damit Auszubildende als Change Agents wirksam werden können, benötigen sie Kompetenzen auf vier Ebenen, nämlich auf der Ebene als
- „Fachpromotor“,
- „Prozesspromotor“,
- „Machtpromotor“ und
- „Beziehungspromotor“.
Die berufsspezifischen Fachkompetenzen sind notwendig, um die auf Prozessebene erkannten Probleme für nachhaltiges berufliches Handeln lösen und kommunizieren zu können sowie innerhalb des jeweiligen Entscheidungsbereiches umzusetzen. Für das berufliche Handeln ist es zum Beispiel wichtig, über die verschiedenen Schritte der Wertschöpfungskette Bescheid zu wissen. Bleiben die Auswirkungen der Produktion auf die Umwelt unberücksichtigt, etwa durch die Nutzung bestimmter Düngemittel beim Anbau, kann das Folgen für Mit- und Umwelt haben (z. B. Klimawandel, Verlust der Biodiversität). Die Folgen regionaler und globaler Veränderungen können auch die nachgelagerten Betriebe in der Be- und Verarbeitung und im Handel unmittelbar betreffen. Mit der Entscheidung, wie sie produzieren und welche Rohstoffe sie anbauen oder einkaufen, können sie darauf Einfluss nehmen.
Fazit und Ausblick
Auszubildende als Berufsträger können in mehrfacher Hinsicht als Change Agents agieren. Die berufliche Bildung kann dabei eine Schlüsselrolle spielen, weil Auszubildende schon heute Impulse in ihre Ausbildungsbetriebe geben können und damit zur Verknüpfung einer nachhaltigen Entwicklung mit der fachlichen Expertise im Betrieb beitragen. Darüber hinaus bestimmen die zukünftigen Berufsträger die Entwicklung ihres Berufsfeldes mit. Als Change Agents können sie außerdem zum Beispiel zum informell erworbenen Ernährungswissen im Alltag beitragen. Kompetente Auszubildende können als „Vorbilder“ für die Zielgruppe der Jugendlichen wirken. Gleichzeitig wird eine Sensibilisierung und Sinnstiftung bei den Berufsträgern allein keine langfristigen Veränderungen bewirken. Eine strukturelle und institutionelle Verankerung auf Nachhaltigkeit bezogener Lehrinhalte ist unumgänglich. Das Fachgebiet „Fachdidaktik Arbeitslehre“ ist Verbundpartner in einem der vom BiBB geförderten Modellprojekte (https://www.alfa.tu-berlin.de/menue/forschung/korn_scout/ ) .
Der Artikel ist erschienen in Ernährung im Fokus 01 2020. Die Literaturliste finden Sie im Archiv 2020 von Ernährung im Fokus als PDF zum Herunterladen: www.bzfe.de/ernaehrung-im-fokus/archiv-2020