Nachhaltiger Ernährung auf der Spur (PDF-Download)
Mehr als 3,2 Millionen Kinder in Deutschland besuchen Kindertageseinrichtungen (Kitas) und essen dort: ob Frühstück, Mittagessen oder Zwischenmahlzeiten (destatis 2020). Das Verpflegungsangebot ist vielfältig: Essen wird selbst zubereitet und gekocht, mitgebracht, angeliefert oder aufgewärmt. Mit der wachsenden Nachfrage nach Ganztagsbetreuung ist auch die Zahl an Mahlzeiten gewachsen, die Kinder außer Haus einnehmen.
Mit dem Eintritt in die Kita erleben Kinder das Thema Ernährung erstmals außerhalb ihres familiären Umfelds, das Grundwerte und Ernährungsgewohnheiten maßgeblich prägt. In Kitas wird mit den Kindern Alltag gelebt. Damit einher gehen gemeinsame Mahlzeiten.
Verschiedene Projekte unterstützen Kinder, Lebensmittel, ihre Zubereitung und ihre gesundheitsfördernden Potenziale kennenzulernen. Ernährungsbildung soll darüber hinaus Fähigkeiten und Fertigkeiten fördern, „die eigene Ernährung politisch mündig, sozial verantwortlich und demokratisch teilhabend unter komplexen gesellschaftlichen Bedingungen zu gestalten.“ (D-A-CH Arbeitsgruppe Ernährungs- und Verbraucherbildung, www.evb-online.de). Neben der individuellen Gesundheit gehört auch Nachhaltigkeit dazu mit dem Aspekt, welche Auswirkungen das eigene Essverhalten auf die Umwelt hat.
Diese Aufgabe stellt viele Kitas vor große Herausforderungen. Wie sie diese kreativ angehen können, zeigen drei Beispiele.
Bildung für nachhaltige Entwicklung (BNE)
Bildung für nachhaltige Entwicklung (BNE) zielt darauf ab, Kompetenzen und Handlungsfähigkeiten zu stärken sowie Hintergrundwissen zu Nachhaltigkeitsthemen zu erweitern, um Kinder zu zukunftsorientiertem Handeln zu befähigen.
Das Leitbild einer nachhaltigen Entwicklung bedeutet, sich für den Erhalt der natürlichen Lebensgrundlagen einzusetzen, Gerechtigkeit weltweit und zwischen den Generationen zu gestalten und bisherige Wirtschafts- und Konsummuster im Sinne der Nachhaltigkeitsstrategien (besser, anders, weniger, gerechter) neu und anders zu denken. Ein Schlüsselthema ist die Ernährung. (vgl. z. B. Bund, Misereor 1996, S. 30f.; Transfer 21 2007; Fritz, Schubert 2014, S. 4; Stoltenberg 2009)
Praxisbeispiel aus Dreieich
In der städtischen Kita Zeisigweg in Dreieich, die als Konsultationseinrichtung Teil des Klima-Kita-Netzwerks ist, gibt es langjährige Erfahrungen rund um Bildung für nachhaltige Entwicklung. Einen Schwerpunkt setzt die Kita-Konzeption im Bereich Ernährung. „Wir achten darauf, wo unsere Lebensmittel herkommen und kaufen möglichst saisonal und regional ein“, erzählt Leiterin Randi Broisch. „Unser Brot kommt vom hiesigen Bäcker, der es selbst backt – ohne Backmischungen und Zusatzstoffe.“ Das ist zwar nicht bio, aber regional. Käse und Wurst wird in Bio-Qualität eingekauft, die Wurst stammt von Tieren aus der Region. Die Milch kommt von einem örtlichen Landwirt, den die Kita-Kinder – ebenso wie den Bäcker – besuchen. „Durch unsere regelmäßigen Besuche auf dem Bauernhof wissen die Kinder, wo beispielsweise die Milch, das Fleisch oder das Getreide herkommen“, sagt Broisch.
Die Kita bietet Frühstück, Mittagessen und Zwischenmahlzeiten an, die eine Köchin frisch zubereitet. Den Speiseplan für vier Wochen bereitet der Kita-Arbeitskreis „Lecker Schmecker“ mit Kindern und Erwachsenen anhand eines Legespeiseplans (s. Foto S. 232) vor und stimmt ihn mit der Köchin ab. Dabei gibt es Vorgaben, zum Beispiel maximal zwei Mal pro Woche Fleisch oder Wurst und Nachtisch sowie immer saisonales Gemüse und Obst wie Steckrübe und Apfel. Um herauszufinden, welches Obst oder Gemüse gerade wächst, nutzen die Kinder einen Saisonkalender. Es gibt also immer Gemüse der Saison – entweder aus dem eigenen Garten oder zugekauft. „Dabei entstehen natürlich auch Gespräche, warum wir im Winter etwa keine Erdbeeren oder Heidelbeeren essen“, erzählt Randi Broisch.
Den Garten bewirtschaften Kinder und pädagogische Fachkräfte gemeinsam. Angebaut wird, was die Kinder probieren wollen. „So haben wir schon Kürbis, Kartoffeln, Tomaten, Paprika, Auberginen und Brokkoli angepflanzt. Kräuter haben wir sowieso und auch Sträucher mit Johannisbeeren und Apfelbäume“, erzählt die stellvertretende Leiterin Barbara Nowicz. Die Kinder erleben, wie etwas angebaut, geerntet und verarbeitet wird und lernen nebenbei Kreisläufe kennen.
Ergänzend gibt es immer wieder neue Projekte rund um Nachhaltigkeit beispielsweise Aktionstage, die gemeinsam mit Partnern aus dem Umfeld stattfinden. So bauten Mitglieder des örtlichen Gartenbauvereins zusammen mit den Kindern Stationen für einen Aktionstag rund um den Apfel und die Streuobstwiese auf. „Biodiversität finden wir nämlich vor unserer Haustür“, sagt Randi Broisch. Die Kinder konnten alte Apfelsorten probieren, eigenen Apfelsaft herstellen oder überprüfen, wo die Äpfel aus dem Supermarkt herkommen. „Man kann nicht erwarten, dass Bildung für nachhaltige Entwicklung und nachhaltige Ernährung von alleine kommen. Es ist wichtig, sich zu vernetzen und auszutauschen. Das machen wir beispielsweise im Klima-Kita- Netzwerk und lokal mit den anderen Einrichtungen unserer Kommune“, erzählt Broisch. Die Kitas des Trägers entwickelten eine Checkliste, mit der sich überprüfen lässt, wie weit sie schon in Sachen Nachhaltigkeit gekommen sind. Ein Bereich dabei ist die Ernährung.
Praxisbeispiel Kita Ubbedissen
Auch im AWO-Kindergarten Ubbedissen bei Bielefeld spielt nachhaltige Ernährung eine große Rolle: Angefangen hat das vor über 30 Jahren mit einem kleinen selbstgebauten Gewächshaus. „Wir wollten schon damals Abläufe in der Natur für Kinder erlebbar machen“, erzählt Kita-Leiterin Anke Kleymann. Heute ist dieser Ansatz in der Konzeption verankert. In der Kita gibt es ein Profigewächshaus und es wird frisch gekocht. 92 Kinder werden so verpflegt, davon essen 69 zu Mittag. Einmal pro Woche machen alle das Frühstück selbst, dann ist auch Backtag. Der Brotteig wird zusammen angesetzt: selbst gemahlenes Mehl, Salz und Wasser. „Die Kinder bestimmen mit, was wir backen, ob es etwa Brot oder Hörnchen gibt“, berichtet Anke Kleymann.
Die Kinder erleben auch, wo die Lebensmittel herkommen. Die Einrichtung hält in zwei Hühnerhäusern acht Hühner, die die Kinder täglich versorgen. Die eingesammelten Eier gibt es dann beim wöchentlichen Frühstückstag. Außerdem hält die AWO-Einrichtung Bienen. Zwei Kolleginnen sind ausgebildete Imkerinnen. Auch die Vorschulkinder dürfen bei den Bienen mitarbeiten. Ob Waben entdeckeln, Honig schleudern und abfüllen, Etiketten gestalten oder Blumen und Kräuter für die Bienen anpflanzen – es gibt für alle etwas zu tun. „Mit den Kindern besprechen wir auch, was die Bienen zum Leben brauchen und wie wichtig sie beispielsweise dafür sind, dass wir Obst auf dem Teller haben“, erzählt Anke Kleymann.
Praxisbeispiel Kita Essen-Kupferdreh-Byfang
Umwelt- und Klimaschutz sind auch in der Kita St. Barbara in Essen-Kupferdreh-Byfang fest verankert – eine gesunde und nachhaltige Ernährung spielt dabei eine zentrale Rolle. Erste Impulse dazu kamen vor über zehn Jahren aus dem Team. 2020 wurde die Einrichtung des KiTa Zweckverbands dann von der Verbraucherzentrale NRW für ihr klimafreundliches Verpflegungskonzept ausgezeichnet. Im Rahmen des Projekts „MehrWertKonsum“ erfasste die Kita gemeinsam mit der Verbraucherzentrale NRW zehn Tage lang grammgenau die anfallenden Speisereste des Mittagessens. Dabei stellte sich heraus: Die Portionen sind schon gut an den Bedarf der Kinder angepasst, deshalb fallen wenig Speiseabfälle an. „Wir als Team beobachten, was und wie viel die Kinder essen und bestellen Mahlzeiten, die gesund sind und den Kindern schmecken. Außerdem durften sich die Kinder das Essen vor Corona selbst auffüllen. Wir haben sie ermutigt, die Mengen selbst einzuschätzen und bei Bedarf nachzunehmen – das reduziert Speiseabfälle und schafft Bewusstsein“, erzählt die Leiterin Martina Reinecke. Rund zwei Drittel der Kinder (ca. 30) essen mittags in der Kita. Die Mahlzeiten kommen von einem Caterer. Teil des Konzeptes ist es, dass die Kinder bei der Gestaltung des Speiseangebots mitwirken und ihre Wünsche bei der Essensbestellung Berücksichtigung finden.
Innerhalb des Projekts wurden die Speisepläne auch in Hinblick auf Klimaschutz unter die Lupe genommen. Die Empfehlungen orientieren sich an der Klimabilanz der verschiedenen Lebensmittel – weniger Fleisch sowie mehr Gemüse und Hülsenfrüchte. Obwohl der Caterer hier keinen besonderen Schwerpunkt setzt, ist das Angebot so vielfältig, dass die Kita sich einen klimafreundlichen Speiseplan individuell zusammenstellen kann.
Bei dem zweimal wöchentlich stattfindenden Müsli-Frühstück legt die Einrichtung ebenfalls Wert auf Nachhaltigkeit. Es stehen Haferflocken, Nüsse, saisonales und – wenn möglich – regionales Obst sowie Kuhmilch und Haferdrink zur Auswahl. Die Zutaten dazu bezieht die Kita möglichst ortsnah und verpackungsarm. Im Rahmen eines jährlich stattfindenden Projekts zum Thema „Gesundheit und Ernährung“ wird das Thema nachhaltige Ernährung für alle Kinder greifbar – vom Einkauf auf dem Wochenmarkt, dem Anbau im eigenen Garten über das gemeinsame Kochen bis hin zum Umgang mit Resten. „Dabei eröffnen sich vielfältige Anlässe, um mit den Kindern über Themen wie Verpackung, Abfall oder die Herkunft der Lebensmittel zu sprechen“, erzählt die stellvertretende Leiterin Sonja Knop.
Gelingensfaktoren
Die Beispiele zu „Ernährung in Kitas“ zeigen, dass die Verankerung von Bildung für eine nachhaltige Entwicklung ein Prozess ist, der mit kleinen Schritten startet. Dabei ist die Basis die Überzeugung, dass das Thema wichtig ist und die Auseinandersetzung im Team. Reflexion und Unterstützung durch Fachberatung, Träger, Projekte, Austausch mit anderen Kitas und Fortbildungen sowie Ressourcen – zeitlich und finanziell – sind wichtige Gelingensfaktoren. Bildung für nachhaltige Entwicklung berührt vielfältige Handlungsfelder in der Kita (Abb. 1).
Bezogen auf die Bildungsarbeit geht es darum, Bildungsanlässe im Alltag (innerer Kreis) wie Kräuter anbauen oder Lebensmitteleinkauf größer zu denken. Weiterhin gilt es, den Kita-Betrieb (äußerer Kreis) in den Blick zu nehmen. Welche Kriterien sind beim Einkauf wichtig? Woher stammen Saatgut oder Lebensmittel? Für die Einrichtungen und Träger bedeuten diese Fragen einen Perspektivwechsel, bei dem die Ansätze auch in Konzeption, Qualitätsmanagement, Beschaffungsleitfäden oder baulicher Planung etwa bei Küchen mitzudenken sind. Die Nachhaltigkeitsbrille bedeutet auch, ethische Fragen mit den Kindern zu besprechen, sich mit dem Umfeld zu vernetzen und den Kindern und ihren Familien zu ermöglichen, Alternativen kennenzulernen und sich an Nachhaltigkeitsprozessen zu beteiligen. Das zeichnet gelungene Bildungsarbeit zu nachhaltiger Ernährung aus.
Klima-Kita-Netzwerk
Das Klima-Kita-Netzwerk bietet Veranstaltungen zu Klima-und Ressourcenschutz inklusive nachhaltiger Ernährung an. Ein Aktionstagebuch stellt Beispiele aus der Kita-Praxis vor.
Das Klima-Kita-Netzwerk wird von Innowego – Forum Bildung & Nachhaltigkeit eG, die Naturschutzjugend im NABU (NAJU), die Umweltstation Lias-Grube und die S.O.F – Save Our Future Umweltstiftung durchgeführt. Das Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und nukleare Sicherheit fördert das Projekt im Rahmen der Nationalen Klimaschutzinitiative (NKI).
Nachhaltiger Ernährung auf der Spur (PDF-Download)