Präventionsgesetz
Die Betriebliche Gesundheitsförderung (BGF) hat durch das Präventionsgesetz neuen Schub bekommen. Oder muss es Betriebliches Gesundheitsmanagement (BGM) heißen? Was ist überhaupt der Unterschied? Eine wichtige Frage für Ernährungsfachkräfte, die hier einsteigen oder sich spezialisieren möchten.
Eins vorweg: Selbst Fachleute halten beides nicht immer korrekt auseinander. Außerdem ist das Thema enorm vielschichtig. Wer hier seine berufliche Zukunft oder ein wichtiges Standbein sieht, sollte sich davon nicht abschrecken lassen. Denn Ernährung ist neben Bewegung, Stress und Sucht eines von vier Handlungsfeldern, für die die Krankenkassen Gelder ausgeben müssen.
Und auch immer mehr Firmen suchen kompetente Hilfe und investieren gerne in die Gesundheit ihrer Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Davon erhoffen sie sich ein gutes und produktives Betriebsklima sowie Wettbewerbsvorteile in ihrer Branche.
Wie müssen sich Diätassistent*innen, Oecotropholog*innen und Ernährungswissenschaftler*innen aufstellen, damit nicht andere Berufsgruppen ihre Kernthemen besetzen? Was hilft ihnen, zu entscheiden, in welchem Umfang sie BGF- bzw. BGM-Leistungen anbieten möchten? Die Antworten darauf lauten informieren, qualifizieren, professionalisieren und vernetzen.
Informieren: Rechtliche Grundlagen und Finanzierung
Seit 2015 gilt das Präventionsgesetz. Der „Leitfaden Prävention. Handlungsfelder und Kriterien nach § 20 Abs. 2 SGB V“ regelt die Details für die Umsetzung. Dabei wurde die betriebliche Gesundheitsförderung deutlich gestärkt. Denn Betriebe eignen sich bestens, um Angebote zur Prävention und Gesundheitsförderung an den Mann bzw. die Frau zu bringen. Über 35 Seiten widmen sich der BGF und ihrer Verankerung im BGM. Sie beschreiben die konkreten Anforderungen an Zielgruppen, Ziele, Maßnahmen und Anbieterqualifikationen innerhalb der vier Handlungsfelder.
Leitfaden Prävention
Der Leitfaden erläutert auch die sechs Phasen des BGF-Prozesses: Vorbereitungsphase, Nutzen und Aufbau von Strukturen, Analyse, Maßnahmenplanung, Umsetzung und Evaluation.
§ 20 SGB V regelt die Finanzierung der BGF durch die gesetzlichen Krankenkassen (GKV): Diese müssen pro Versichertem mindestens 2,15 Euro für BGF aufwenden. Dazu addiert sich mindestens 1 Euro pro Versichertem für die BGF in Pflegeeinrichtungen. Gleichzeitig können Unternehmen pro Mitarbeiter und Jahr bis zu 500 Euro lohnsteuerfrei in Maßnahmen der Gesundheitsförderung investieren.
Für viele Betriebe sind die GKV die erste Anlaufstelle, wenn sie eine finanzielle Förderung für BGF in Anspruch nehmen und den Einstieg in die komplexe Materie finden möchten. Meist wenden sie sich an die Krankenkasse, bei der ein Teil ihrer Belegschaft versichert ist. Die Kassen sind heute sehr professionell aufgestellt, bieten umfangreiche Beratung und begleiten die Unternehmen im gesamten Prozess. So betreut allein die AOK über ihr BGF-Institut mit rund 75 festen und einem Pool von freien Mitarbeiter*innen jährlich mehrere hundert Unternehmen.
Aber auch alle anderen GKV besetzen dieses Aufgabengebiet. Für zertifizierte Ernährungsfachkräfte, die ihre Leistung als Honorarkräfte anbieten möchten, können sie interessante Auftraggeber sein. Vor allem Einsteiger sammeln so erste Erfahrungen.
Betriebliche Gesundheitsförderung – Betriebliches Gesundheitsmanagement
Die Begriffe Betriebliches Gesundheitsmanagement (BGM) und Betriebliche Gesundheitsförderung (BGF) werden oft gleichgesetzt. Die BGF ist jedoch nur eine Säule des BGM. Die Angebote sind für Arbeitnehmer und Arbeitgeber freiwillig. Die beiden weiteren Säulen des BGM heißen Arbeits- und Gesundheitsschutz sowie betriebliches Eingliederungsmanagement. BGM meint damit das große Ganze, BGF eher den inhaltlichen Teil. Dazu gehören unter anderem Konzepte und Maßnahmen im Themenumfeld Ernährung.
Hilfreiche Erläuterungen finden sich auf der Website der BGF-Koordinierungsstelle.
Qualifizieren und groß denken: Ernährungsfachkräfte im BGM
Im Sinne einer nachhaltigen Prävention fordern Fachleute ein ganzheitliches BGM, das alle Bereiche und Beteiligten berücksichtigt. Das sind zum Beispiel Betriebsrat, Betriebsarzt, Krankenkassen und Unfallversicherung. So können beispielsweise anonymisierte Daten aus dem Eingliederungsmanagement wichtige Informationen für die Bedarfsanalyse eines BGF-Konzeptes liefern.
Große Unternehmen verfolgen heute in der Regel eine BGM-Gesamtstrategie. Dafür schaffen sie betriebsinterne Stellen und ergänzen diese durch Unterstützung von außen. Kleine und mittlere Unternehmen – abgekürzt KMU – sind damit anfangs oft überfordert. Sie sind auf spezialisierte Dienstleister angewiesen. Wer sich hier ganz oben positionieren möchte und gerne konzeptionell arbeitet, muss sich sehr gut auskennen und hochprofessionell vorgehen.
Speziell Ernährungswissenschaftler*innen haben durch ihr interdisziplinäres Studium eine gute Ausgangslage. Sie verfügen über inhaltliche und methodische Kompetenzen. Um ein Unternehmen von der Analyse über die Durchführung von Maßnahmen bis hin zur Evaluation zu begleiten, braucht es jedoch ein tieferes Verständnis betrieblicher Strukturen. Das lässt sich durch Erfahrungen in der Praxis oder Weiterbildungen zum Betrieblichen Gesundheitsmanager sammeln.
Weiterbildung Betriebliche*r Gesundheitsmanager*in
Die Bezeichnung „Betriebliche*r Gesundheitsmanager*in“ ist nicht gesetzlich geschützt und es gibt zahlreiche Weiterbildungs-Institute. Interessierte sollten vor der Buchung die Inhalte und Preise der Angebote genau vergleichen.
Hilfen gibt es beim Bundesverband Betriebliches Gesundheitsmanagement
Professionalisieren: Selbstbewusst und unternehmerisch handeln
Social Media verstehen und nutzen
Wer mit BGM/BGF erfolgreich sein möchte, braucht einen professionellen Auftritt nach außen. Dazu gehört eine Website, die mehr als nur den Hinweis „ich biete auch Maßnahmen für Betriebe an“ enthält. Ist der potenzielle Kunde auf der Seite gelandet, möchte er auf den ersten Blick erfahren, ob er hier richtig ist: Kennt sich die Anbieterin gut mit den Rahmen- und Finanzierungsbedingen aus? Welche konkreten Beratungsleistungen und Maßnahmen-Pakete gibt es? Sind die Bedürfnisse verschiedener Zielgruppen bekannt, zum Beispiel Schichtarbeitende, Außendienstler, Managerinnen und Manager?
Viele Betriebe fühlen sich besser aufgehoben, wenn hinter dem Angebot ein ganzes Team zu stecken scheint. Selbst wer als Einzelunternehmerin oder Freiberufler arbeitet, wird er sich bei Bedarf Kolleg*innen ins Boot holen. Dies kann man durch Formulierungen wie „Wir unterstützen Sie“ herausstreichen.
Gleichzeitig sind die Regeln der Suchmaschinenoptimierung zu beherzigen. So steigt die Wahrscheinlichkeit, „gefunden“ zu werden, wenn ein potentieller Auftraggeber nach „Betriebliche Gesundheitsförderung Stadt XY“ googelt. Aktivitäten auf geeigneten Social-Media-Kanälen fördern die Sichtbarkeit im Netz.
Und auch im direkten Kundenkontakt ist eine selbstbewusste Haltung entscheidend. Dessen sollten sich speziell Ernährungsfachkräfte, die in der Beratung eher zurückhaltend agieren, bewusst sein. Als BGF-Dienstleister möchte ich den Kunden davon überzeugen, dass sich die Investition nicht nur für die Gesundheit jedes Einzelnen lohnt, sondern quasi zu einem gesunden und erfolgreichen Unternehmen beiträgt.
Gleichzeitig gilt es herauszufinden, wie groß die Offenheit der Entscheider für Veränderungen im Betrieb ist und welches Budget zur Verfügung steht. All dies mündet in die klare Formulierung und Budgetierung des Arbeitsauftrages und -volumens.
Auch Ernährungsfachkräfte, die nur einzelne BGF-Maßnahmen anbieten, sollten unternehmerisch denken und handeln sowie detailliert kalkulierte Angebote abgeben. Das ist nicht nur übliche Geschäftspraxis in der freien Wirtschaft. So wird transparent und vergleichbar, welche Leistungen Kunden für welches Geld erhalten. Und nur so lassen sich Honorare realisieren, die der Leistung und Expertise des Anbieters entsprechen.
Seminare und Fortbildungen BGF / BGM
Spezielle Seminare für Ernährungsfachkräfte ermöglichen eine Weiterbildung zur BGF oder BGM.
Die Hochschule für angewandte Wissenschaften (HAW) Hamburg entwickelte unter Leitung von Professorin Annegret Flothow einen Online-Kurs Betriebliches Gesundheitsmanagement für Ökotrophologen. Dieser kostenlose Kurs vermittelt einen Überblick über die BGM-Grundlagen, Praxisbeispiele und gesunde Ernährung am Arbeitsplatz.
Das Bundeszentrum für Ernährung bietet für Ernährungsberater*innenWebinare zum Einsatz der Ernährungspyramide im BGM an.
Vernetzen: Erfolgreich und sicher im Netzwerk
Selbst, wer sein Handwerk beherrscht, bekommt als Einzelkämpfer oft nur schwer „ein Bein in die Tür“. Aussichtsreicher ist der Zusammenschluss mit Kolleg*innen der eigenen und anderer Fachrichtungen. So lassen sich große Ausschreibungen gewinnen und Synergien in der Akquise neuer Kunden nutzen. Spezielle Netzwerke für Ernährungsfachkräfte gibt es bei den jeweiligen Berufsverbänden.
Netzwerke für Ernährungsfachkräfte
Der Berufsverband Oecotrophologie (VDOE) bietet seinen Mitgliedern im BGF-Netzwerk
die Möglichkeit zum Meinungs- und Erfahrungsaustausch. Es verspricht einen Informationsvorsprung für seine Mitglieder und die konkrete Vermittlung von Stellenangeboten und Projekten für Freiberufler.
Der Verband der Diätassistenten (VDD) hat zusammen mit der auf BGF spezialisierten Hanna-Kathrin Kraaibeek die Dachmarke Save Nutrition Network entwickelt. Unter dieser Marke werden auch BGF-Maßnahmen gemeinsam umgesetzt sowie Informationen und Aufträge an die Netzwerk-Mitglieder vermittelt.
Hilfreich ist eine gute Vernetzung auf lokaler Ebene: Mit Gemeinschaftspraxen oder medizinischen Versorgungszentren. Durch Kontakte zu Handwerkskammern, Behörden und Krankenkassen. Durch Ansprechpartner in Sportvereinen und den lokalen Medien. Manche Kommunen beschäftigen bereits einen Koordinator. Der sieht genau, in welchen Quartieren es welche Bedürfnisse gibt und arbeitet eng mit den Krankenkassen zusammen.
Da die Nachfrage nach BGM-/BGF-Unterstützung insgesamt wächst, drängen immer mehr Dienstleister in den Markt. Viele suchen nach qualifizierten Ernährungsfachkräften. Eine gute Anlaufstelle sind Fachkräfte-Netzwerke, die unter eigener Dachmarke und mit geprüften Modulen auftreten.
Und auf Ebene der Betriebe lassen sich durch Zusammenschlüsse kleiner und kleinster Unternehmen Maßnahmen realisieren, für die jeder Einzelne allein nicht die Ressourcen hat. Das Zauberwort heißt Betriebsnachbarschaften. Dabei nehmen mehrere Betriebe einer Kommune oder in einem Gewerbegebiet das Thema BGM gleichzeitig in Angriff – unterstützt von Krankenkassen und externen Dienstleistern. So lassen sich gemeinsam Maßnahmen wie Gesundheitstage oder Schulungen umsetzen.
BGF als Standbein für zertifizierte Ernährungsfachkräfte
Nicht immer wünschen Firmen von Anfang an eine umfassende Beratung. Besonders KMU fragen häufiger Einzelmaßnahmen wie Gesundheitstage oder Ernährungsvorträge an, die die Kassen problemlos unterstützen.
Viele Ernährungsberater*innen erfüllen diese Bitten gerne: Sie sind eine willkommene Abwechslung und Bereicherung zur Beratung und Therapie in der eigenen Praxis. Und oft gibt es einen erfreulichen Nebeneffekt: So finden Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zur Einzelberatung, wenn sie individuelle Probleme lösen möchten.
Manchmal kommt man nicht um Smoothie- oder Wrap-Workshops als Türöffner herum. Solche Maßnahmen sind auf den ersten Blick zwar wenig anspruchsvoll, bei vielen Betrieben aber äußerst beliebt. Wer es geschickt anstellt, liefert vertiefende Informationen zu einer ausgewogenen Ernährung. So zeigen Ernährungsfachkräfte, dass sie mehr zu bieten haben als weniger gut ausgebildete Mitbewerber.
Auf der anderen Seite sollten Vorträge zu Themen wie „Brainfood“ oder „Essen bei Schichtarbeit“ nicht nur inhaltlich perfekt zur Zielgruppe passen. Nur unterhaltsam und modern präsentiert, erzielen sie die optimale Wirkung.
Hat es allen gefallen, ist die Basis für eine längere Zusammenarbeit gelegt. Das sollte jeder im Hinterkopf haben, auch bei der Preisverhandlung, wenn privat abgerechnet wird. Denn wer seine Leistungen zu günstig verkauft, kann später schwer nachverhandeln.