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Immer mehr Bio-Betriebe ziehen Kuh und Kalb gemeinsam auf, weil sie sich für eine artgerechtere Milchviehhaltung engagieren. Das ist nicht immer einfach, beispielsweise bei der Vermarktung.

Gero Klein
  • Vor allem in den sozialen Medien wird die Milcherzeugung auch aus Tierwohlgründen scharf kritisiert und für pflanzliche Milchalternativen plädiert.
  • Immer mehr Milchviehbetriebe ziehen Kühe und Kälber gemeinsam auf, um mehr Tierwohl zu gewährleisten.
  • Um rentabel arbeiten zu können, müssten höhere Preise für die Milch erzielt werden.
  • Bei der Vermarktung im größeren Stil gibt es noch einige Hürden zu nehmen.
  • Verbraucherinnen und Verbraucher können eine tierwohlgerechte Milcherzeugung unterstützen, indem sie Milch aus kuhgebundener Kälberaufzucht kaufen. Die gibt es überwiegend in Bio-Läden oder in der Direktvermarktung.

Dass Milchviehbetriebe die Kälber kurz nach der Geburt von ihren Müttern trennen, wird in der Gesellschaft zunehmend kritisiert. Daher, und weil sie von der artgerechteren Haltung überzeugt sind, ziehen immer mehr Bio-Betriebe Milchkühe und Kälber gemeinsam auf. Wir erklären, wie die kuhgebundene Kälberaufzucht funktioniert und wo Sie die Milch kaufen können.

Trennung von Kuh und Kalb

Um Milch zu geben, müssen Kühe Kälber zur Welt bringen. Diese bleiben in modernen Milchviehbetrieben meist nur wenige Stunden bei der Mutter. Danach werden sie in einem speziellen Aufzuchtbereich mit anderen Kälbern untergebracht und bekommen Vollmilch vom Betrieb oder zugekauften Milchaustauscher – ein Milchpulver, das in warmes Wasser eingerührt wird – über einen Tränke-Eimer.

Die frühe Trennung von Kuh und Kalb hat verschiedene Gründe. So sind die Abläufe beim Melken viel unkomplizierter, wenn die Kälber nicht dabei sind. Auch die bessere Hygiene ist ein Argument. Außerdem führt eine spätere Trennung zu Stress bei allen Beteiligten, wenn sich die Beziehung zwischen Kuh und Kalb erst einmal vertieft hat. Das wichtigste Argument aus Sicht der Milchviehbetriebe ist aber wohl die Wirtschaftlichkeit: Wenn Kälber rund um die Uhr mit ihren Müttern zusammen sind, bekommen sie die Milch, die eigentlich verkauft werden könnte.

Milch-Bashing auf Social Media

Ob Tierschutzverein oder einzelne Aktivistinnen und Aktivisten – vor allem in den sozialen Medien bekommt die Milchbranche heftigen Gegenwind. „Ich trinke keine Kuhmilch – denn die ist für Kälber und nicht für Menschen“ heißt es dort beispielsweise, oder „Konsumiert der Mensch Milch, tötet er Kälber.“ Von Ausbeutung ist dort die Rede und von „zwangsgeschwängerten Tieren“.  Milchviehbetriebe – vor allem im Bio-Bereich – wollen zeigen, dass es auch anders geht. Klar ist aber auch, dass es keine Milch ohne Kälber gibt. Kuhgebundene Kälberaufzucht kann hier ein Weg sein, Milch als hochwertiges Lebensmittel zu positionieren, das unter Berücksichtigung von Tierwohlaspekten erzeugt wurde.  

 

So funktioniert die kuhgebundene Kälberaufzucht

Wie genau die kuhgebundene Aufzucht in den einzelnen Milchviehbetrieben gestaltet wird, dafür gibt es kein Patentrezept. Dies hängt zum einen von den stallbaulichen Gegebenheiten ab, und zum anderen von den Vorstellungen der Landwirtinnen und Landwirte. So haben sich im Laufe der vergangenen Jahre verschiedene Systeme entwickelt. Diese unterscheiden sich vor allem in der Zeit, die Milchkühe und ihre Kälber zusammen verbringen. Bei der muttergebundenen Aufzucht beispielsweise bleiben Mutter und Kalb meist monatelang beieinander. Eine Alternative zu diesem Dauerkontakt ist der Kurzzeitkontakt, bei dem Kuh und Kalb nur zweimal am Tag für maximal eine Stunde zusammen sind.

Ein anderes System setzt auf Ammenkühe, die mehrere Kälber säugen. Die Ammen werden meist nicht gemolken, und die Kälber können den ganzen Tag bei ihnen bleiben. Um den Trennungsschmerz der Kälber gering zu halten, die Milch der Mütter jedoch möglichst vollständig verkaufen zu können, kombinieren einige Betriebe die mutter- und die ammengebundene Aufzucht. Auch hier kann man die Kälber entweder ganztags bei den Müttern lassen oder den Kontakt nur zweimal täglich ermöglichen und die Kühe noch zu melken.

Kuhgebundene Kälberaufzucht bei Bio Bochröder

Shannon Siffrin von Bio Bochröder erklärt im Video, wie sie die kuhgebundene Kälberaufzucht auf ihrem Demeter-Hof umsetzen. Zunächst verbringen die Kälber zwei bis drei Monate bei der Mutterkuh in der Herde und werden daraufhin im „Kindergarten“ von Ammenkühen bis zum sechsten Monat mit Milch und Zuneigung versorgt. Dadurch sind die Kälber sehr fit und vital, lernen zudem schon früh, sich in die Herde einzugliedern und Gras zu fressen.

 

Vorteile der kuhgebundenen Kälberaufzucht

Als Hauptmotiv für ihre Entscheidung, in die kuhgebundene Kälberaufzucht einzusteigen, nannten im Rahmen einer Studie des Thünen-Instituts – Bundesforschungsinstitut für Ländliche Räume, Wald und Fischerei) – befragte Landwirt*innen neben einer Steigerung des Tierwohls die Erleichterung der Arbeit. „Das System ist einfacher, da Eimerputzen, Milcherwärmen und Schleppen wegfällt.“, so eine Aussage aus der Studie. Es spielt aber auch der Wunsch der Kundschaft eine Rolle: „Die Nachfrage der Besucher auf dem Hof hat mich zum Denken bewegt.“

Dass die Mehrheit der Verbraucherinnen und Verbraucher die Trennung von Kuh und Kalb ablehnt, konnte die Studie ebenfalls zeigen. Aber nur, wenn dies auch zu einer höheren Nachfrage nach Milch (und Fleisch) aus kuhgebundener Kälberaufzucht führen würde, hätten die landwirtschaftlichen Betriebe eine höhere Einkommenssicherheit. Vorausgesetzt natürlich, sie bekommen mehr Geld für Milch und Mastkälber, um profitabel wirtschaften zu können. Trotz derzeitiger Nischenposition sehen Molkereien und der Handel – vor allem im Bio-Bereich – durchaus Potenzial für die Produkte.

Wie die Ergebnisse eines Forschungsvorhabens des Bundesprogramms Ökologischer Landbau (BÖL) zur Akzeptanz der Nutztierhaltung zeigen, wünscht sich die Bio-Kundschaft vor allem eine muttergebundene Kälberaufzucht.

Vermarktungshürden

Molkereien sehen in einer separaten Vermarktung der Milch aus kuhgebundener Aufzucht eine Chance, sich von der Konkurrenz zu differenzieren. Andererseits stellen die getrennte Verarbeitung, die geringe Verfügbarkeit und der höhere Einkaufspreis für sie einen Nachteil dar. Zudem sehen sie die Gefahr, andere eigene Produkte abzuwerten, die nicht aus dieser Art der Tierhaltung stammen.

Aus Sicht des Handels stellt sich die Frage, ob die Kundschaft bereit ist, höhere Preise für Produkte aus kuhgebundener Kälberaufzucht zu bezahlen. Zumindest in Bio-Märkten scheint dies der Fall zu sein.

Da die Milch wegen der geringen Mengen nicht getrennt erfasst wird und daher nicht als Milch aus kuhgebundener Kälberhaltung ausgezeichnet werden kann, sind die besseren Haltungsbedingungen für die Kundschaft im Supermarkt nicht erkennbar. Aus diesem Grund verkaufen viele Betriebe ihre Milchprodukte über die hofeigenen Läden, wo direkte Vermarktung und Aufklärung möglich sind und sie höhere Preise erzielen können. Ähnlich ist es mit den meist männlichen Kälbern: Werden sie nicht aus ideeller Überzeugung auf den Milchhöfen gemästet und geschlachtet, werden sie zu konventionellen Preisen an Mastbetriebe verkauft. Eine gezielte Vermarktung von Fleisch aus kuhgebundener Kälberaufzucht findet dann nicht statt. Diese wäre aber eine Voraussetzung dafür, dass diese artgerechte Milchviehhaltung rentabel ist und sich etablieren kann.

Kennzeichnung von Milch aus kuhgebundener Aufzucht

Nur wenige der für die Thünen-Studie befragten Landwirtinnen und Landwirte gaben an, eine Kennzeichnung der Aufzuchtmethode auf der Produktverpackung der Milch oder Milchprodukte vorzunehmen. Jedoch kommunizieren sie über andere Wege, zum Beispiel die eigene Website, Gespräche im Hofladen oder bei Hofführungen sowie Informationsbroschüren, dass sie die kuhgebundene Kälberaufzucht praktizieren. Diejenigen, die eine Kennzeichnung durch ein Label grundsätzlich begrüßen würden, sehen darin ein gutes Kommunikationsmittel in Richtung Verbraucherinnen und Verbraucher.

Andere Betriebe lehnen eine Kennzeichnung ab, weil diese mit einer Zertifizierung einhergehen würde, welche zu zusätzlichen Kosten und Kontrollen führen würde. Das Problem ist auch, dass es keinen einheitlichen Standard gibt. Für Nicht-Landwirte sind die Vor- oder Nachteile der unterschiedlichen Systeme nicht wirklich zu beurteilen. Hinzu kommt, dass es schon jetzt eine große Anzahl an Kennzeichnungen gibt, die Verbraucher*innen überfordert.

Wo kann ich Milch aus kuhgebundener Kälberaufzucht kaufen?

Damit mehr Milchviehbetriebe die Kälber bei den Kühen lassen können, müssen vor allem genug Menschen, den Kauf von Milch und Fleisch aus dieser artgerechte Haltungsform unterstützen. Wegen der noch geringen Mengen und fehlender Kennzeichnung sind Produkte aus kuhgebundener Kälberaufzucht bei den großen Handelsketten noch nicht bundesweit gelistet, sondern eher im Bio-Handel zu finden. Überwiegend nutzen die Betriebe jedoch Wege der Direktvermarkung wie eigene Hofläden oder Online-Shops, Milchtankstellen oder eine Solidarische Landwirtschaft. Nach eigenen Angaben können so höhere Preise erzielt werden. Der hohe Arbeitsaufwand ist aber nicht zu unterschätzen. Daher müssen die Landwirtinnen und Landwirte Wege finden, Verbraucherinnen und Verbrauchern diesen Arbeitsaufwand gut zu erklären.

Wo Sie Milch und Fleisch aus kuhgebundener Kälberhaltung vor Ort kaufen können, zeigt die Deutschlandkarte der Tierschutz-Organisation PROVIEH e. V. Auf den Internetseiten der Kampagne „KUH & KALB“ gibt es außerdem noch weitere Infos zu dieser artgerechten Art der Milchviehhaltung und zu Einkaufsmöglichkeiten.

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