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Bilder von Sushi-Lachs oder Fischbällchen auf Basis von Zellen kursieren schon länger im Internet. Steht die Markteinführung von kultiviertem Fisch wirklich kurz bevor? Ein Überblick.

Wildtype
  • Fortschritte im Bereich In-vitro-Fleisch führen auch dazu, dass mehr Unternehmen im Bereich zellbasierter Fisch entstehen.
  • Mangels ausreichender Forschungsförderung sind es die Start-ups selbst sowie zahlreiche private Investoren, die die Entwicklung vorantreiben.
  • 2020 wurde in Deutschland das erste europäische Unternehmen gegründet, das Fisch aus Zellen zeitnah auf den Markt bringen möchte.
  • Wir zeigen den Stand der Entwicklung und geben einen Ausblick auf die Zukunft der Technologie.

Folgt man den Selbstdarstellungen der Start-ups, die Fischprodukte auf Zellkulturbasis entwickeln, in den sozialen Medien, könnte der Eindruck entstehen, diese stünden kurz vor der Markteinführung. Vor allem von Sushi-Lachs aus Kalifornien gibt es in letzter Zeit immer neue Food-Fotos zu sehen. Interessierte können sich bereits auf einer Warteliste eintragen, um zu den Ersten zu gehören, die den zellbasierten Lachs probieren dürfen. Aber wie lange dauert es tatsächlich noch, bis die Produkte für die breite Masse zugänglich sind? Wir geben einen Überblick, wie weit der Fortschritt bei der kommerziellen Erzeugung von kultiviertem Fisch derzeit ist.

So wird der zellbasierte Fisch hergestellt

Die Herstellung von kultiviertem Fisch verläuft nach demselben Prinzip wie beim In-vitro-Fleisch:

1. Aus dem Gewebe eines lebenden Fisches werden Stammzellen entnommen und in einer Nährlösung vermehrt.

2. Die Stammzellen entwickeln sich in Muskelzellen.

3. Nun müssen die Muskelzellen zu Muskelfasern heranwachsen, sodass eine Fleischstruktur entsteht. Dafür werden die vorgezüchteten Zellen in einem Bioreaktor auf Trägerschichten verankert und weiter gezüchtet ("Tissue Engineering"). Diese Träger sind zum Beispiel Polymerstrukturen aus Kollagen oder Polysacchariden. Sie sollten möglichst durchlässig sein, damit die Nährstoffe aus dem Nährmedium zu den Muskelzellen gelangen können.

"Tissue Engineering" ist die künstliche Herstellung biologischer Gewebe durch die gerichtete Kultivierung von Zellen. Die Technik wird bereits seit längerer Zeit in der Forschung im Bereich regenerative Medizin eingesetzt, um beispielsweise zerstörtes Gewebe wiederherzustellen.

4. Bislang ist es am einfachsten, Produkte wie Fischbällchen oder Nuggets zu erzeugen. Dafür werden die gezüchteten Zellen zu einer Masse zusammengepresst. Um dreidimensionale Produkte wie ein Fischfilet herzustellen, werden Gerüste benötigt. Diese müssen idealerweise essbar sein, damit sie am Schluss nicht wieder entfernt werden müssen.

5. Die Struktur der fertigen Produkte ist auch wichtig für das Verhalten beim Braten und Kochen.  

 

Rose Ha ist Köchin und entwickelt gemeinsam mit dem Start-up Wildtype in San Francisco Methoden für die Herstellung und Zubereitung von zellbasiertem Lachs. Bei ihrem ersten Versuch, eine frühere Produktvariante in der Pfanne zu braten, ist diese sofort geschmolzen.

"Das Produkt hat sich inzwischen stark weiterentwickelt und ist heute nahezu identisch mit echtem Lachs. Vom Anbraten über Räuchern und Pökeln bis hin zum Marinieren usw. kann ich für den Fisch fast jede Kochtechnik verwenden.", sagt sie in einem Interview, das in der Trendstudie "Die Cultured Meat Revolution – Wie zellkultiviertes Fleisch zum Game-Changer wird" des Merck Science & Technology Office nachzulesen ist (Merck KGaA, 2021).

Unternehmen und Investoren als Treibende der Branche

Obwohl zellkulturbasierte Lebensmittel als wichtiges Forschungsfeld erkannt wurden, fehlt es oftmals noch an öffentlichen Geldern, um die Forschung voranzutreiben. Eine große Rolle bei der Entwicklung von Technologien und Produkten spielen daher die Start-ups selbst sowie zahlreiche Investoren aus der Privatwirtschaft. Das Good Food Institute (GFI) – eine Organisation, die die Entwicklung und Vermarktung von alternativen Proteinquellen fördert – nennt in seinem "2021 State of Industry Report – Cultivated meat and seafood" eine Investitionssumme für Fleisch und Fisch aus Zellkulturen von insgesamt 1,38 Milliarden Dollar für das Jahr 2021. Im Jahr zuvor waren es 410 Millionen Dollar. Mit 175 Millionen Dollar ist der Anteil des Kapitals, das 2021 in kultivierten Fisch und Meerestiere investiert wurde, am gesamten Invest in diesem Bereich noch relativ gering. Wie die meisten Start-ups sitzen viele Investoren in den USA. Aber auch große deutsche Lebensmittelunternehmen aus Produktion und Handel springen auf den Zukunftstrend auf und beteiligen sich an vielversprechenden Start-ups.

Ein Beispiel aus Europa: Das deutsche Biotech-Unternehmen Bluu Seafood (ehemals Bluu Biosciences) hat seit seiner Gründung in mehreren Finanzierungsrunden insgesamt 23 Millionen Euro eingesammelt. Das frische Kapital aus der letzten Runde, die im Juni 2023 abgeschlossen wurde, möchte Bluu Seafood neben der Ausweitung seiner Forschungsarbeit und dem Start der Pilotproduktion in Hamburg auch für die Zulassung erster Produkte einsetzen.

Einige Player im Bereich zellbasierter Fisch

Im Bereich Fisch und Meeresfrüchte gibt es bereits einige Unternehmen, die sich in der vorindustriellen Phase befinden oder auf dem Weg dahin sind. Einige stellen wir Ihnen unten vor. Die Auswahl ist keine Empfehlung, sondern bildet die Entwicklung des Wirtschaftszweiges beispielhaft ab.

Weitere Unternehmen finden Sie in dieser Übersicht.

Wildtype

Building a better Foodsystem“ und „We're Reinventing Seafood“ sind zwei der Claims des 2017 gegründeten Unternehmens Wildtype aus San Francisco. Das Ziel der beiden Gründer ist es, tierleidfreien und nachhaltig erzeugten Lachs in Sushi-Qualität in großem Stil zu vermarkten. Der Preis soll in einer ähnlichen Größenordnung liegen wie bei Lachs aus Aquakultur. Auf der Unternehmenswebsite gibt es bereits eine animierte Skizze einer Pilotanlage, in der die Lachszellen in größerem Stil produziert werden sollen.

BlueNalu

Genau wie die Kolleg*innen von Wildtype ist auch das Unternehmen BlueNalu in Kalifornien ansässig. Im Jahr 2019 wurden die ersten Fischnuggets aus Zellen der Gelbschwanzmakrele der Öffentlichkeit demonstriert. Die erste, 130.000 Quadratmeter große Produktionsanlage des Unternehmens ist so konzipiert, dass jährlich bis zu drei Millionen Kilo Fisch und Meeresfrüchte aus Zellkulturen rentabel produziert werden können. BlueNalu geht davon aus, dass die Fabrik im Jahr 2027 an den Start gehen kann. Das erste Produkt soll eines aus Zellen des Blauflossen-Thunfischs sein. In der Natur ist diese Fischart wegen seiner hohen Qualität stark überfischt.

Finless Food

Die ebenfalls kalifornische Firma Finless Food setzt komplett auf Thunfisch. Auf dem Weg zur Marktreife ihres ersten zellkultivierten Produkts ist, sozusagen als Zufallsprodukt, eine pflanzenbasierte Thunfisch-Alternative entstanden, die das Unternehmen nun als erstes auf den Markt bringen will. Vielleicht keine schlechte Idee, denn viele Expert*innen sehen in In-vitro-Fleisch und -Fisch nur eine von vielen Möglichkeiten für alternative Proteinquellen. Neben Produkten auf Pflanzenbasis könnten auch Hybridprodukte aus pflanzlichen Lebensmitteln und tierischen Zellen eine Lösung sein. Finless Food arbeitet aktuell an der Markteinführung des pflanzenbasierten Produktes sowie der Zulassung und einer kostengünstigeren Produktion des zellkultivierten Fisches.

Bluu Seafood

Bluu Seafood mit Sitz in Berlin und Lübeck ist das erste Unternehmen in Europa, das sich auf die Entwicklung und Herstellung von zellbasiertem Fisch spezialisiert hat. Das deutsche Start-up ging 2020 als Ausgründung des Fraunhofer-Entwicklungszentrums für Marine und Zelluläre Biotechnologie (EMB) an den Start. Bislang liegt der Fokus auf einfachen Produkten wie Fischstäbchen oder -bällchen aus unterschiedlichen Fischarten, darunter Atlantischer Lachs, Regenbogenforelle und Karpfen. Diese Arten sind nicht nur beliebt, sondern auch bereits gut erforscht, sodass zu den Zelllinien ein breites Wissen existiert. Langfristig sind auch strukturierte Lebensmittel wie Lachsfilet geplant.

Diese Hürden sind noch zu überwinden

Dass Lebensmittel auf Basis von tierischen Zellen in naher Zukunft – auch in Europa – auf den Markt kommen, davon sind die Treiber*innen der Branche überzeugt. Zu welchem Zeitpunkt dies geschieht, ist abhängig davon, wann verschiedene Hürden überwunden sein werden, die einen Markteintritt derzeit noch schwierig machen. Das sind zum Beispiel:

Tierfreie Nährmedien

Als klassisches Nährmedium für die Kultivierung von Zellen wird fetales Kälberserum eingesetzt, für dessen Gewinnung ungeborene Kälber sterben müssen. Die Unternehmen versichern, es habe höchste Priorität, das tierische Nährmedium durch pflanzliche oder synthetische Alternativen zu ersetzen. Einigen soll dies in Kooperation mit spezialisierten Firmen bereits gelungen sein. Nun gilt es jedoch, diese Nährmedien – die je nach verwendeten Zellen unterschiedliche Zusammensetzung haben müssen – kostengünstig herzustellen.

Skalierung der Produktion

Derzeit arbeiten viele Unternehmen noch unter Laborbedingungen mit sehr kleinen Bioreaktoren oder ersten Pilotanlagen. Unter diesen Voraussetzungen ist es jedoch (noch) nicht möglich, die Produkte zu erschwinglichen Preisen anzubieten. Um nicht nur einzelne Restaurants, sondern auch Supermärkte beliefern zu können, müssten die Produkte in viel größerem Maßstab hergestellt werden. Solche Produktionsanlagen sind jedoch noch in der Entwicklung. Die Notwendigkeit der Skalierbarkeit gilt auch für die Herstellung des Nährmediums sowie für die Entwicklung von (pflanzenbasierten) Gerüsten für die Produktion von dreidimensionalen Fleisch- bzw. Fischfleischstrukturen.

Zulassung

Für die Zulassung von kultiviertem Fisch ist in Europa die sogenannte Novel-Food-Verordnung maßgeblich. Unternehmen müssen bei der Europäischen Kommission die Zulassung ihrer Produkte beantragen. Das Verfahren beinhaltet eine Sicherheitsbewertung durch die Europäische Behörde für Lebensmittelsicherheit (EFSA).

Das kann allerdings dauern. „In der Europäischen Union wird es mindestens drei Jahre dauern, bis ein neuartiges Lebensmittel zugelassen ist“, berichtete Dr. Christian Dammann, COO von Bluu Seafood, im Sommer 2022 in einem Interview mit dem veganen Wirtschaftsmagazin vegconomist. „Da mehr als 20 Länder mit unterschiedlichen politischen und wirtschaftlichen Prioritäten beteiligt sind, ist der Prozess komplexer und kann mehr Zeit in Anspruch nehmen. In der EU kann es daher bis 2026 dauern, bevor wir Produkte sehen, die in relevanten Mengen in den Geschäften erhältlich sind“, so Dammann weiter. In Singapur hingegen sei die Zulassungsfrist mit etwa 12 Monaten mit Abstand am kürzesten, in den USA dauere der Zulassungsprozess 18 Monate, so Dammann weiter. Vor diesem Hintergrund verwundert es wenig, dass Bluu Seafood seine Markteinführung in Singapur plant, wie das Unternehmen im Juni 2023 bekannt gab.

Akzeptanz von Verbrauchenden

Ob Fisch- und Fleischprodukte auf Basis von Zellen wirtschaftlich zu einer Erfolgsstory werden könnten, hängt stark von der Akzeptanz der Verbraucherinnen und Verbraucher ab. Solange die genannten Probleme noch nicht gelöst und die alternativen Proteinquellen noch nicht für die breite Bevölkerung zugänglich sind, bergen Umfragen zum Thema viele Unsicherheiten.

Konkretere Einblicke zu Ansichten über zellbasierte Lebensmittel geben zum Beispiel die Aussagen von Bürgerinnen und Bürgern, die im Rahmen des Projektes "Visionen von In-vitro-Fleisch" des Instituts für Technikfolgenabschätzung und Systemanalyse (ITAS) an partizipativen Formaten der qualitativen Sozialforschung (Gruppendiskussion und Bürgerjury) teilgenommen haben.

So sahen einige der Teilnehmenden in der Technologie eine potenzielle Verbesserung der Qualität der Tierhaltung Andere sahen in ihr jedoch die Gefahr, dass die Tiere durch die Stammzellenentnahme dauerhaft gequält werden könnten. Positiv wurde auch die Senkung des Ressourcenverbrauchs gesehen. Einige Befragte befürchteten jedoch, die Innovation könnte zu einem noch höheren Fleischkonsum führen. Die Mitglieder der Bürgerjury waren sich einig, dass eine Reduktion des Fleischkonsums sowie eine Förderung von pflanzlichen Alternativen und ökologischer Landwirtschaft die beste und einfachste Lösung wäre. Insgesamt realistischer erschien ihnen jedoch die Etablierung von In-vitro-Fleisch. Dies dürfte in der Annahme begründet sein, dass eine mehr pflanzenbasierte Ernährung zwar sinnvoll für die Gesundheit der Menschen und des Planeten wäre, viele Menschen aber dennoch nicht auf den Konsum von Fleisch verzichten möchten.

Unsicher waren die Teilnehmenden in Bezug auf mögliche gesundheitliche Folgen der Technologie sowie der weiteren Entfremdung des Menschen von seiner Nahrung. Die einhellige Meinung der Bürgerjury war, der Staat solle Strategien zur Reduktion des Fleischkonsums entwickeln und gleichzeitig Alternativen fördern. In-vitro-Fleisch könne dabei eine Lösung sein, aber nicht die einzige.

Ausblick

Die Produktion von kultiviertem Fisch hat einige Vorteile:

  • Aufzucht und Schlachtung von Tieren entfallen.
  • Die Meere werden entlastet.
  • Bei Fisch ist die Entnahme von Zellen, die Biopsie, im Idealfall nur einmalig erforderlich. Das gelingt bei manchen Unternehmen schon, weil durch das entwickelte Verfahren erreicht wird, dass sich die Zellen unendlich teilen.
  • Fischprodukte aus Fischzellen sind frei von Gentechnik, Antibiotika, Mikroplastik und Umweltgiften.
  • Fisch auf Basis von Zellkulturen kann bedarfsgerecht dezentral produziert werden, weil die Bioreaktoren im Gegensatz zur Aquakultur weltweit an jedem Standort aufgebaut werden können.
  • Zellkulturbasierte Fischprodukte lassen sich gut mit Nährstoffen (z. B. Omega-3-Fettsäuren) anreichern.
  • In den Bioreaktoren werden nur die Teile produziert, die tatsächlich gegessen werden. So lässt sich Lebensmittelverschwendung vermeiden.
  • Nicht zuletzt sehen Befürworter*innen der Technologie ein großes wirtschaftliches Potenzial für Deutschland.

Ein Nachteil bei der Erzeugung von Fisch in Bioreaktoren könnte der hohe Energieverbrauch sein. Laut Bluu Seafood ist dieser jedoch deutlich geringer als bei der Produktion von Fleisch aus Zellkulturen. Denn Fische sind im Gegensatz zu Säugetieren wechselwarm. Das heißt, ihre Zellen benötigen nur Zimmertemperatur, um sich zu vermehren, während die Produktion von kultiviertem Fleisch erst bei 37 °C gelingt.

Wie hoch der Energieverbrauch – und damit die Klima- und Umweltbelastung – tatsächlich sein wird, wird die neue Pilotproduktionsanlage von Bluu Seafood in Hamburg bald zeigen. Der Einzug ist nach Abschluss der Umbaumaßnahmen im Herbst 2023 geplant.

Quellen und weiterführende Informationen

State of the Industry Report: Cultivated Meat  – The Good Food Institute, 2022

State of the Industry Report: Alternative seafood – The Good Food Institute, 2022

Die Cultured Meat Revolution – Wie zellkultiviertes Fleisch zum Game-Changer wird – (PDF-Download), Merck Science & Technology Office (Merck KGaA, 2021)

Visionen von In-vitro-Fleisch – Analyse der technischen und gesamtgesellschaftlichen
Aspekte und Visionen von In-vitro-Fleisch
– Institut für Technikfolgenabschätzung und Systemanalyse (ITAS) am Karlsruher Institut für Technologie, 2017

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