- Im Moment lohnt es sich für Unternehmen nicht, die biologische Vielfalt zu verbessern, Treibhausgase zu reduzieren oder Gewässer zu schützen. Denn diese Leistungen werden nicht angemessen honoriert.
- Das führt dazu, dass gut zwei Drittel der Lebensmittel in Deutschland umweltschädlich produziert werden. Sie überlasten unsere Wasserressourcen, das Klima und die Böden und die gefährden die biologische Vielfalt.
- Das Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft hat sich daher vorgenommen, Klima- und Umweltleistungen stärker zu fördern.
- Die Regionalwert-Leistungsrechnung ist ein Instrument, um den Wert von Nachhaltigkeitsleistungen zu ermitteln, die Betriebe für die Umwelt und die Gesellschaft erbringen. Sie wurde von Wissenschaftler*innen und Praktiker*innen entwickelt und erprobt.
- Dr. Jenny Lay-Kumar zeigt in ihrem Vortrag, welches Potenzial darin für die Transformation der Land- und Ernährungswirtschaft liegt.
Ausgerechnet unsere Lebensmittelproduktion ist mitverantwortlich für die Zerstörung unsere Ernährungsgrundlagen, nämlich Boden, Wasser, Klima, Meere und die biologische Vielfalt. 60 bis 70 Prozent aller Lebensmittel in Deutschland werden so produziert, dass die planetaren Belastungsgrenzen überschritten werden. Das ist das Ergebnis von umfangreichen Studien, unter anderem des Potsdam Instituts für Klimafolgenforschung (PIK; Gerten et al 2020). Sie zeigen: Wir müssen die Lebensmittelproduktion grundlegend ändern, damit langfristig alle Menschen auf diesem Planeten gut und nachhaltig essen können. Von der notwendigen Transformation der Ernährungs- und Landwirtschaft sind wir jedoch weit entfernt. Denn Nachhaltigkeit rechnet sich für die meisten Unternehmen (noch) nicht.
Im Lebensmittelpreis fehlen Schäden und Nutzen der Produktion
Doch wie kommen wir heraus aus dieser Falle? „Es wird falsch gerechnet“, sagt Dr. Jenny Lay-Kumar, die Gründerin der Regionalwert Research gGmbH, in ihrem Vortrag. „Die aktuellen Preise und die aktuelle Betriebswirtschaft spiegeln die Realität nicht vollständig wider. Nachhaltigkeitsleistungen und Schäden werden nicht eingerechnet.“
Nun gibt es zwei Möglichkeiten, wie man mit diesem Problem umgehen kann. Die eine ist, Schäden zu reduzieren – die andere ist, Nutzen zu fördern:
- Die True-Cost-Forschung versucht, die „wahren Kosten“ der Lebensmittelproduktion zu ermitteln, indem sie auch die Folgeschäden für die Umwelt und die Gesundheit abschätzt. Diese Arbeiten zeigen, dass konventionelle Lebensmittel langfristig teurer sind, als die meisten Bio-Lebensmittel. Allein die Umweltschäden der landwirtschaftlichen Produktion betragen in Deutschland mindestens 90 Milliarden Euro pro Jahr, so die Schätzung der Zukunftskommission Landwirtschaft. Diese Kosten trägt die Allgemeinheit, also wir, unsere Kinder und Menschen in Gebieten, die heute schon von Klimawandel, Wassermangel und Artensterben betroffen sind.
- Eine andere Möglichkeit ist, genau die Betriebe zu fördern, die einen ökologischen und sozialen Nutzen für die Gesellschaft erbringen. Das ist der Ansatz der Regionalwert-Leistungsrechnung. Sie macht Nachhaltigkeitsleistungen messbar. Die Methode eignet sich sowohl für die Ermittlung von Leistungen von Bio-Betrieben als auch von konventionellen, die nachhaltig wirtschaften.
Vermutlich braucht es beide Ansätze. Die Umweltsoziologin Dr. Jenny Lay-Kumar geht daher in ihrem Vortrag auch auf die Unterschiede zwischen True Cost und Regionalwert-Leistungsrechnung ein und zeigt, wie sich beide ergänzen können.
Nachhaltigkeitsleistungen sichtbar machen
Mittschnitt des Online-Vortrags von Dr. Jenny Lay-Kumar, Gründerin der Regionalwert Research gGmbH, im Rahmen des BZfE-Lunchtalks Ernährungstransformation.
Ökologische, soziale und ökonomische Leistungen bewerten
Die Regionalwert-Leistungsrechnung macht sichtbar, welche besonderen Leistungen landwirtschaftliche Betriebe erbringen, die nachhaltig wirtschaften. Die Betriebe können dies über ein Onlineformular selbst ermitteln. Für die monetäre Bewertung werden hauptsächlich Daten aus der Buchführung der Betriebe genutzt. Rund 300 Kennzahlen werden erfasst, um die ökonomischen, sozialen und ökologischen Leistungen eines Hofes zu erfassen, etwa die Form der Düngung, die Herkunft von Futtermitteln, der Einsatz von samenfesten Sorten und die Anzahl von Fachkräften und Saisonarbeiter*innen. Auch Themen wie Arbeitsplatzqualität und regionale Vernetzung spielen eine wichtige Rolle.
Das Ergebnis wird mit Ampelfarben bewertet. „Man sieht also auf den ersten Blick, wie ein Unternehmen abschneidet“, sagt Lay-Kumar. Die Regionalwert-Leistungsanalyse eignet sich daher nicht nur für die Bewertung des Ist-Zustandes. Sie weist Stärken und Schwächen eines Betriebes aus. Auf diese Weise können die Unternehmen daran arbeiten, sich weiterzuentwickeln und auch ihre Fortschritte messen. Wie so etwas aussehen kann, zeigt das Beispiel vom Bioland Lammertzhof.
Der Aufwand für die Regionalwert-Leistungsrechnung hält sich in Grenzen. Die Erfassung der Daten wurde so angelegt, dass erfahrene Betriebsleiter*innen die Analyse mit überschaubarem Aufwand und etwas Unterstützung in gut einem Tag selbst durchführen können.
Politischer Rückenwind
Auch politisch ist klar, dass Ökosystemleistungen und gesellschaftliche Leistungen der Land- und Ernährungswirtschaft gefördert werden müssen:
„Das BMEL setzt sich für eine Honorierung von Umwelt- und Gemeinwohlleistungen in der Land- und Ernährungswirtschaft ein. Dafür fördert es Projekte, die eine Aufnahme von ökologischen und sozialen Werten in bestehende Rechnungsstandards entwickeln“,
sagte Dr. Karl Kempkens, Leiter des Referates ökologische Lebensmittelwirtschaft im BMEL, auf der Abschlusstagung des Projekts regiosöl. In dessen Rahmen wurde die Regionalwert-Leistungsrechnung auf 61 landwirtschaftlichen Betrieben in Nordrhein-Westfalen und Nordhessen erprobt und weiterentwickelt. Das Projekt wurde vom BMEL im Rahmen des Bundesprogramms Ökologischer Landbau (BÖL) gefördert.
„Hier konnte eindrucksvoll belegt werden, wie die Gemein- und Umweltleistungen einfach erfasst und ausgewiesen werden können“,
so Kempkens weiter.
Der unsichtbare Nutzen geht in die Millionen
Ein praktisches Anwendungsbeispiel für die Regionalwert-Leistungsrechnung ist auch die Firma Neumarkter Lammsbräu. Der Bio-Pionier ließ ermitteln, welche Nachhaltigkeitsleistungen die landwirtschaftlichen Betriebe erbringen, die den Getränkehersteller mit Getreide und Braurohstoffen beliefern. Sie kamen dabei auf 53.200 Euro pro Hof – so viel Mehrwert erbringt ein durchschnittlicher Bio-Landwirtschaftsbetrieb der regionalen Erzeugergemeinschaft pro Jahr für Umwelt und Gemeinwohl. Und zwar zusätzlich zu den erzeugten Lebensmitteln.
Rechnet man die Studienergebnisse exemplarisch auf alle 180 Lieferant*innen von Lammsbräu hoch, erwirtschaften diese knapp 9,6 Millionen Euro jährlich an Mehrwert für Umwelt und Gemeinwohl. Dieser Wert taucht bisher in keiner Bilanz auf.
Ein ähnliches Modellprojekt hat die EVG Landwege durchgeführt. Allein 16 Zulieferbetriebe dieser regionalen Erzeuger-Verbraucher-Genossenschaft im Lübecker Land erbringen Nachhaltigkeitsleistungen im Wert von rund 1,5 Millionen Euro. Landwege eG gehört zu den Bio-Pionieren der Regionalvermarktung. Die Genossenschaft hat in den vergangenen 25 Jahren einen regionalen Lebensmittelhandel mit sechs Bio-Märkten aufgebaut, die unter anderem von 30 Bio-Betrieben im Umkreis von 100 Kilometern beliefert werden.
Potenziale für eine nachhaltige Ernährungswirtschaft
Diese Beispiele zeigen: Nicht nur die Landwirtschaft, auch die Ernährungswirtschaft und der Lebensmittelhandel können dazu beitragen, sozial-ökologische Leistungen zu fördern. Zum Beispiel, indem sie Produkte von Höfen beziehen, die diese Leistungen erbringen. Und indem sie ihre Lieferant*innen dabei unterstützen, die Leistungsrechnung durchzuführen.
Der nächste Schritt ist die Weiterentwicklung der Leistungsrechnung für Handel, Ernährungsindustrie und -handwerk, meint Dr. Jenny Lay-Kumar. Hier ist noch viel Pionierarbeit zu leisten.
Nur das, was man kennt, kann man auch fördern
Bislang konnten solche Nachhaltigkeitsleistungen nur begrenzt und mit großem Aufwand sichtbar gemacht werden. Das hat sich mit der Regionalwert-Leistungsrechnung geändert. Nun ist es sogar Betrieben selbst möglich, ihre Leistungen für Mensch, Natur und Region zu berechnen und auszuweisen.
Das ist ist ein wichtiger Beitrag für eine neue Weichenstellung in der Land- und Ernährungswirtschaft. Denn nur das, was man kennt, kann man auch erhalten, fördern und weiterentwickeln.
Wer hats entwickelt?
Die Regionalwert-Leistungsrechnung wurde über mehrere Jahre und mit Fördermitteln verschiedener Ministerien und Stiftungen von der Regionalwert AG Freiburg gemeinsam mit Wissenschaftler*innen und Praktiker*innen entwickelt, unter anderem dem Netzwerk der Regionalwert AGs und ihren Aktionär*innen als gesellschaftliche Akteur*innen. Die Förderung des regiosöl-Projektes erfolgte durch das BMEL im Rahmen des Bundesprogramms Ökologischer Landbau (BÖL).Seit 2021 bietet die Firma Regionalwert-Leistungen GmbH das Berechnungstool für landwirtschaftliche Betriebe an. Die Regionalwert Research gGmbH wiederum arbeitet an der wissenschaftlichen Weiterentwicklung. Der gemeinnützige Think Tank mit Sitz in Leipzig wurde von Dr. Jenny Lay-Kumar gegründet. Sie ist dort Geschäftsführerin. Vorher arbeitete sie drei Jahre bei der Regionalwert AG Freiburg als Forschungsleitung.