- Wegen Platzmangels versucht man in Singapur, den Anbau von Nutzpflanzen auf die Dächer von Hochhäusern sowie auf Türme zu verlagern.
- Unternehmen haben innovative Ideen zum vertikalen Nutzpflanzenanbau entwickelt.
- Zwei dieser vertikal angelegten „Himmelsfarmen“ stellen wir in diesem Artikel vor.
Bedingt durch Landknappheit versucht man in Singapur, den Anbau von Nutzpflanzen auf die Dächer von Hochhäusern sowie auf Türme zu verlagern. Zwei Beispiele dieser vertikal angelegten „Himmelsfarmen“ werden hier vorgestellt.
Bedeutung des vertikalen Nutzpflanzenanbaues für Singapur
Der Staatstadt Singapur hat keine nennenswerte Acker- und Viehwirtschaft und muss weit über 90 Prozent seiner Nahrungsmittel importieren. Diese kommen zu großen Teilen aus benachbarten Ländern wie Malaysia, Thailand und den Philippinen, aber auch aus Australien, Neuseeland, Israel und Chile. Die Unternehmen „COMCROP“ und „SKY GREENS“ haben deshalb in Singapur innovative Ideen zum vertikalen Nutzpflanzenanbau entwickelt. Die Bevölkerung von Singapur kann hier erleben, wie Lebensmittel eigentlich entstehen und so etwas Natur erfahren.
Unter ökonomischen Aspekten scheinen sich diese Verfahren des vertikalen Nutzpflanzenanbaus positiv zu entwickeln. Denn obwohl erst vor wenigen Jahren gegründet, arbeiten „COMCROP“ wie „SKY GREENS“ laut Angaben der Firmeninhaber nach einer kurzen Anlaufphase betriebswirtschaftlich bereits mit „schwarzen Zahlen“. „SKY GREENS“ ist sogar schon auf dem Sprung, seine Anbauidee außerhalb von Singapur mit einem ersten Schwerpunkt in Großbritannien zu verwirklichen.
Das Projekt „COMCROP“
Hoch auf den Dächern des „Scape-Gebäudes“ kultiviert die Firma „COMCROP“ (eine Abkürzung des Begriffs „communal cropping“, was frei übersetzt gemeinschaftlich betriebener Pflanzenbau heißt) Blattgemüse und Kräuter.
Aquaponik: Kombination aus Fisch- und Pflanzenzucht
Die dazu verwendeten Anlagen bestehen aus einem Geflecht von Wasserbehältern, Schläuchen und Röhren, die einen in sich geschlossenen Kreislauf bilden. Die Rohre haben nach oben kleine, kreisrunde Öffnungen, aus denen die Pflanzen herauswachsen. Diese werden entweder als Setzlinge in die Öffnungen gepflanzt oder in darin versenkte Schaumstoffeinsätze direkt gesät. Das Röhrensystem ist stufenweise so übereinander angeordnet, dass möglichst viele Pflanzen auf engem Raum untergebracht werden können und trotzdem für alle genügend Sonneneinstrahlung gewährleistet ist.
Die Pflanzenwurzeln werden innerhalb der Rohre von neutralen Ballaststoffen, einem Tongranulat, festgehalten und von Wasser umspült, das die erforderlichen Pflanzennährstoffe enthält. Diese stammen zum einen, wie vor allem Stickstoff, aus den Exkrementen der Fische, die in den Wasserbehältern gefüttert werden und ein zusätzliches Einkommen generieren, oder sind dem Wasser beigefügt.
Der Bedarf an Energie, um das Wasser in Fluss zu halten, ist relativ gering; das Wasser selbst muss wegen der Verdunstung und des Entzugs durch die Pflanzen immer wieder nachgefüllt werden.
Auftretende Pflanzenschädlinge, hauptsächlich Blattläuse, bekämpft man mit auf biologischer Basis hergestellten Spritzmitteln.
Die auf diese Weise, also „bodenlos“ erzeugten Salate und Kräuter (Basilikum, Minze etc.), werden fast ausschließlich an die zahlreichen Singapurer Hotels verkauft, die frischen, lokal erzeugten Waren gegenüber den meist von weither eingeführten Produkten den Vorzug geben.
Die „SKY GREENS”-Idee
Das im Singapurer Ortsteil Kranji ansässige Unternehmen „SKY GREENS“ hat es sich in Zusammenarbeit mit der Nahrungsmittel- und Veterinärbehörde des Stadtstaates zur Aufgabe gemacht, dem urbanen Umfeld angepasste, nachhaltige und gleichzeitig raumsparende Anbaumethoden für Nutzpflanzen zu entwickeln.
Gemüsetürme mit extrem niedrigem Energiebedarf
Das Ergebnis dieser Bemühungen sind drei, sechs oder neun Meter hohe, turmartige Gestelle aus Aluminium, an denen bis zu 38 mit Erde befüllte Pflanzkästen angebracht sind. Die Kästen, ebenfalls aus Aluminium bestehend, werden durch hydraulischen Antrieb nach dem Prinzip eines Wasserrads am Rotieren gehalten.
Der Energiebedarf entspricht dabei – abhängig von der Turmhöhe – lediglich dem von 40- bis 60-Watt-Glühbirnen. Bewegen sich die Kästen nach oben, tanken die Pflanzen Sonnenlicht, auf ihrem Weg nach unten wird ihnen Wasser zugeführt. Es dauert jeweils acht Stunden, bis sich ein Kreislauf geschlossen hat und der einzelne Pflanzkasten in seine Ausgangsposition zurückgekehrt ist.
Mit Hilfe der „SKY GREENS“-Methode kann gegenüber der bodenbasierten Pflanzenproduktion eine zehnfach höhere Erntemenge pro Flächeneinheit erzielt werden. Auch ist der Wasserverbrauch um ein Vielfaches niedriger als beim konventionellen Pflanzenbau, denn das für Bewässerung und Antrieb verwendete Wasser wird recycelt und verbleibt, bis auf das Verdunstungswasser und das von den Pflanzen entzogene Wasser, im System.
Mittels des „SKY GREENS“-Verfahrens werden neben anderen Gemüsearten die von der Bevölkerung Singapurs geschätzten Kohlsorten Nai Bai und Xiao Bai Cai erzeugt. Vertrieben wird die Ware über die größte Lebensmittelkette der Stadt, die Firma „NTUC Fairprize“.
Aus Gründen effektiverer Kontrollmöglichkeiten der Pflanzenumwelt befinden sich die „SKY GREENS“-Türme in Singapur in Gewächshäusern. Soweit es die Statik der Gebäude erlaubt, können die Aluminiumtürme auf den Dächern von Wohnhäusern installiert werden. Damit ergibt sich eine besonders enge, unter logistischen Gesichtspunkten überaus umweltfreundliche Verbindung zwischen Erzeugern und Verbrauchern.
Um diese Art der Nahrungsmittelproduktion weiter zu verbreiten, forcieren die staatlichen Stellen Singapurs Partnerschaften von „SKY GREENS“ mit örtlichen Schulen und Colleges, so mit dem “Polytechnischen Temasek-College”. Schülern und Studenten soll gezeigt werden, wie sich bei beengten Platzverhältnissen moderne Techniken im Pflanzenbau sinnvoll einsetzen lassen.
Vertikaler Pflanzenbau – ein Zukunftsmodell?
Nun wäre es sicherlich übertrieben, beim vertikalen Pflanzenbau von einer „Grünen Revolution“ zu sprechen, wie sie zwischen 1965 und 1975 die Reis- und Weizenproduktion, vor allem in Indien, so ungemein beflügelt hat. Denn in Städten angesiedelte Landwirtschaft - „Urban Farming“ genannt -, wird wohl immer ein Nischendasein führen. Aber mit Blick auf eine rapide zunehmende Weltbevölkerung, sowie der Tatsache, dass jetzt schon mehr Menschen in Städten als auf dem Lande leben, ist die Vorreiterrolle Singapurs als ein Mosaikstein des facettenreichen Gesamtkomplexes „Urban Farming“ nicht hoch genug zu bewerten. Der Trend zu Megastädten wird sich auch künftig fortsetzen. Das „United Nations Department of Economic and Social Affairs”(UNDESA) - die Hauptabteilung für wirtschaftliche und soziale Angelegenheiten der Vereinten Nationen - prognostiziert, dass im Jahr 2050 global gesehen nahezu zwei Drittel der Menschheit in Städten wohnen werden.
Dabei ist der Gedanke, pflanzliche Nahrung in Städten zu erzeugen, keineswegs neu. So können die im 18. Jahrhundert in Deutschland entstandenen Stadtgärten, die dazu beitragen sollten, eine steigende Stadtbevölkerung mit frischen Nahrungsmitteln zu versorgen, als Vorläufer des heute praktizierten „Urban Farming”angesehen werden. Dazu zählen schließlich auch die von dem deutschen Arzt und Pädagogen Dr. Daniel Gottlob Moritz Schreber (1808 bis 1861) initiierten und nach ihm benannten “Schrebergärten”, die sich nach wie vor großer Beliebtheit erfreuen.
Glaubt man der Statistik, dann betreiben heutzutage weltweit rund 800 Millionen Menschen auf irgendeine Weise „Urban Farming”. Sei es in Hausgärten und Parks, auf Verkehrsinseln und Grünstreifen oder eben in vertikaler Ausprägung wie in Singapur und anderen Großstädten, vor allem New York und London. Dass dieser Bereich in letzter Zeit auch die Aufmerksamkeit von Wissenschaft und Forschung findet, wird unter anderem an der ersten „International Conference on Vertical Farming and Urban Agriculture“ deutlich, die im September 2014 unter Teilnahme von einigen hundert Experten aus den verschiedensten Ländern an der englischen “Nottingham University”stattfand.
Hintergrundinformationen zu Singapur
Singapur, der an der Südspitze Malaysias gelegene, aus einer Haupt- und mehreren kleinen Nebeninseln bestehende Stadtstaat, beherbergt bei etwa 715 km² Landfläche derzeit gut 5,5 Millionen Einwohner. Dies entspricht einer Bevölkerungsdichte von über 7.600 Menschen pro km² (zum Vergleich: der Stadtstaat Hamburg weist bei 755 km² Landfläche und ungefähr 1,8 Millionen Einwohnern „nur“ knapp 2.400 Menschen pro km² auf). Und das Bevölkerungswachstum Singapurs hält an; in wenigen Jahren muss bereits mit 6 Millionen Einwohnern gerechnet werden.
Die südostasiatische Stadt, vor 200 Jahren noch ein einsames Piratennest, ab 1867 britische Kronkolonie, dann von 1963 bis 1965 zur Föderation Malaysia gehörig und nunmehr seit über 50 Jahren in Form einer Republik selbstständig, ist deshalb wegen zunehmender Platznot gezwungen, in die Höhe zu expandieren. Das gilt nicht nur für Wohn- und Bürogebäude, sondern auch für Erholungsflächen.
So befinden sich auf vielen der imposanten Wolkenkratzertürme Gärten und Parkanlagen, die als „grüne Lungen“ und soziale Treffpunkte dienen. Außerdem sorgen sie im tropischen Singapur mit seinen konstanten Temperaturen zwischen 24 und 33 °C und einer durchschnittlichen Luftfeuchtigkeit von 75 Prozent für einen überaus willkommenen Abkühlungseffekt beim Mikroklima und entlasten bei den in der Stadt üblichen Starkregen die Kanalisation. Darüber hinaus hilft Vegetation im stätdischen Umfeld den dort angesiedelten Bienen sowie der Vogelwelt und trägt zur CO2-Reduzierung bei.