(BZfE) – Staatliche Eingriffe in den Lebensmittelkonsum der Verbraucher sind hierzulande im europäischen Vergleich eher selten. Angesichts volkswirtschaftlicher und externer Folgekosten eines unerwünschten Konsum- und Ernährungsverhaltens, welche auch zunehmend besser quantifiziert werden können, drängt sich jedoch die Frage auf, welche Regeln Lebensmittelmärkten gesetzt werden können und sollten. Dieser Frage ging Professor Dominic Lemken (Institut für Lebensmittel- und Ressourcenökonomik, Universität Bonn) in seiner Antrittsvorlesung „Nudging im Kontext der Ernährungspolitik“ nach, die er kürzlich im Rahmen des Dies Academicus der Bonner Universität hielt.
Nudging (englisch = stubsen, anstoßen) ist eine Strategie zur Verhaltensänderung, die Menschen dazu bewegen möchte, sich für eine erwünschte Verhaltensweise zu entscheiden. Für Lemken ist es im Hinblick auf die gesellschaftliche Akzeptanz entscheidend, dass die Konsumentensouveränität gewahrt bleibt. Eigene aktuelle Studiendaten zeigen, dass Meinungen zu Nudges sehr kontrovers sind, weshalb eine Entscheidung für einen Nudge sicherlich nicht ohne deutliche Gegenwehr abläuft. Deshalb sollten zunächst die Nudging-Potenziale genutzt werden und ernährungspolitische Instrumente zum Einsatz kommen, die mit geringer Eingriffstiefe wirken. Das heißt, Auswahlmöglichkeiten möglichst nicht beschränken und auch nicht über finanzielle Anreize lenken. Freilich ist auch über Instrumente mit größerer Eingriffstiefe nachzudenken, wenn Probleme des Ernährungssystems die Notwendigkeit weiterhin aufzeigen. Eine graduelle Abstufung wäre etwa:
- Entscheidungsunterstützung – zum Beispiel durch Bildungs- und Informationsangebote, nährwertbezogene Angaben.
- Entscheidungslenkung mit Hilfe positiver/negativer Anreize – beispielsweise Steuern auf Lebensmittel mit hohen externen Kosten; Bonusprogramme etwa für Obst und Gemüse.
- Entscheidungsbeschränkung durch limitierte Auswahl und Produktverbote – zum Beispiel Softdrinkverbot in Schulen.
Ernährungspolitische Instrumente sollten über bisherige Ansätze der Kompetenzbildung hinausgehen, um möglichst flächendeckend verbesserte Ernährungsmuster zu ermöglichen. Weitere Instrumente sind beispielsweise die Gestaltung von Ernährungsumgebungen, das Labeling oder Produkt-Reformulierungen. Ferner auch gezielte strukturelle Veränderung der Entscheidungsumgebung, zum Beispiel durch die Positionierung von Produkten, um die Veränderung von Ernährungsgewohnheiten zu begünstigen ohne die Entscheidungsfreiheit oder ökonomische Anreize zu verändern. Am Ende des Tages werden relevante gesellschaftliche Veränderungsprozesse nur mit einem ernährungspolitischen Instrumentenmix erreicht, so der Bonner Wissenschaftler, dabei gelte es Synergien herzustellen, um Effektivität und Akzeptanz zu erhöhen.
Rüdiger Lobitz, www.bzfe.de
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