(BZfE) – Es muss schon einiges auf dem Spiel stehen, wenn der amtierende Ministerpräsident Baden-Württembergs, Winfried Kretschmann, im Kirchberger „Haus der Bauern“ mit dem Philosophen Immanuel Kant zu Dialog und Perspektivwechsel aufruft. Immerhin müssten Klimakrise und Artensterben als größte Herausforderungen unserer Zeit gelten – und „Zeit ist ein Luxus, den wir nicht haben“, so der Vizepräsident der EU-Kommission, Frans Timmermanns. Am 4. Mai 2023 hatte das Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft (BMEL) zur Nachhaltigkeitskonferenz nach Kirchberg an der Jagst eingeladen. Thema: „Gemeinsam Wandel gestalten – Agrar- und Ernährungssysteme jetzt transformieren“. Und dass es tatsächlich einer tiefgreifenden Transformation bedarf, daran ließen Kretschmann, Timmermanns sowie der Bundesminister für Ernährung und Landwirtschaft, Cem Özdemir, keine Zweifel. „Wenn wir nichts machen, nehmen wir eine Hypothek auf die Zukunft unserer Kinder auf“, so Timmermanns. Handlungsdruck lag also klar in der Luft. Das betonten auch die geladenen Jugend-Vertreterinnen und -Vertreter der Zukunftskommission Landwirtschaft, Theresa Schmidt (Bund Deutscher Landjugend) und Moritz Tapp (BUND), die nachdrücklich auf die ausstehende Umsetzung der Kommissionsergebnisse verwiesen. „Jetzt liegt die Verantwortung ganz klar in der Politik“, so Tapp. Und die begab sich dann auch intensiv in den Austausch – mit Akteurinnen und Akteuren aus Produktion, Verarbeitung und Handel, Wissenschaft und Zivilgesellschaft.
Kaum ein Beitrag kam ohne Verweise auf Klimawandel, Biodiversität, Böden und Wasser aus. Es ging aber auch um Lebensmittelwertschätzung, soziale Ungleichheit, den Erhalt heimischer Landwirtschaft, um regionale Versorgung, Resilienz und Ernährungssicherheit. Häufig dabei im Fokus: die Zukunftsfähigkeit von Tierproduktion und Fleischkonsum. Bundesminister Özdemir reflektierte ausgleichend: „Mein Gemüse braucht Tierhaltung.“
Susanne Näumann vom BMEL nahm sich gemeinsam mit Eva Zovko vom Bundeszentrum für Ernährung (BZfE) des Themas Kommunikation an. Parallel zu vier weiteren Fachforen diskutierten sie mit Expertinnen und Experten den Schwerpunkt: „Pflanzenbetont in die Zukunft – Kommunikation, Kooperation und Konzepte“.
Das hatte es durchaus in sich. Schon der einführende Impulsvortrag von Prof. Dr. Jasmin Godemann (Universität Gießen) machte deutlich, wie schwer es ist, wertschätzend und zukunftsgewandt zu kommunizieren, Gräben zu überwinden und nicht zuletzt junge Menschen für Veränderung zu begeistern. Zumal Verstehen im Grunde die Ausnahme und Missverstehen der Normalfall sei, so Godemann. Und doch biete gerade das weite Feld der Social Media echte Chancen, mit Verbraucherinnen und Verbrauchern in Dialog zu treten, ihre Sichtweisen kennenzulernen und Kommunikation anschlussfähig zu machen. Wie dies gelingen kann, führten dann Dr. Jochem Wolthuis, Dr. Katharina Weiss-Tuider und Dan Parker anhand exemplarischer Kampagnen vor Augen. Wolthuis, seines Zeichens Botschafter für Obst und Gemüse der östlichen Niederlande, illustrierte, dass sich Verbraucherinnen und Verbraucher keineswegs nur durch Chips und Süßes verführen lassen. Mit dem Handel als starkem Verbündeten ließen sich vielfältige Nudges auch für den pflanzenbetonten Einkauf quer durch den Supermarkt – vom Einkaufswagen bis zur „Quengelkasse“ – platzieren. Weiss-Tuider, inzwischen für Eckart von Hirschhausens „Stiftung Gesunde Erde Gesunde Menschen“ aktiv, stellte ihre Arbeit als ehemalige Verantwortliche für den deutschen „Veganuary“ vor, eine äußerst erfolgreiche Kampagne, welche an die beliebten Neujahrsvorsätze andockt und den zeitweisen Fleischverzicht zur interaktiven Challenge macht. Auch die britische Kampagne „Eat them to defeat them!“ setzte auf Augenzwinkern, Spiel und Spaß, so Mastermind Dan Parker. Impulse und Eindrücke flossen dann auch in eine Abschlussdiskussion des Fachforums ein, die mit Stephanie Wunder (Agora Agrar), Leonie Netter (Deutsche Umwelthilfe), Paula Humann (Food Management-Studentin der Dualen Hochschule Baden-Württemberg), Jasmin Godemann und Susanne Näumann bestritten wurde.
Die Ergebnisse kuratierte schließlich Eva Zovko in einem „Blitzlicht“. Wer erfolgreich für eine Transformation unserer Ernährungssysteme kommunizieren wolle, müsse mit den Menschen in den Dialog treten, nicht einfach nur Empfehlungen abgeben. Nur so ließen sich die Bedürfnisse und Gewohnheiten der Menschen erkennen und Kompetenzen vermitteln, die handlungsorientiert und im Alltag konkret anwendbar sind. „Wir müssen Fragen stellen, diskutieren und auch Anstöße bieten“, so Zovko. Nur so könne man kommunikativ notwendige Verhaltensänderungen anregen. Vor allem im digitalen Raum müssten Impulse gegeben und gesellschaftliche Resonanzen angestoßen werden – nur so werde gemeinsames Handeln möglich, nur so Veränderung tragfähig. Zovko, selbst Expertin für Ernährungskommunikation im BZfE, identifizierte in der gemeinsamen Diskussion fünf Erfolgsfaktoren:
1. Ein Perspektivwechsel ist unabdingbar
Allzu häufig erfolge Kommunikation aus der Sicht der Absenderinnen und Absender. Eine echte Chance bestehe aber darin, die Bedürfnisse und Interessen der Zielgruppen kennenzulernen, sie zu verstehen und hier anzusetzen. „Wir müssen verstehen, mit welchen Einstellungen, Werten und Interpretationen die Menschen übergeordnete Nachhaltigkeitsziele verbinden. Wir müssen weniger senden und mehr zuhören: Welchen Platz findet eine nachhaltige, stärker pflanzenbetonte Ernährung im Alltag der Menschen?“
2. Kommunikation braucht praktische Relevanz sowie positive und emotionale Ansprache
Nachhaltige Ernährung muss aus der Verbots- und Verzichtsnarration herausgeholt werden. Wir müssen Gräben überwinden und jenseits der üblichen „Bubbles“ Lust am Wandel entfachen – mit inspirierenden Beispielen entlang der gesamten Wertschöpfungskette, von engagierten Produzierenden bis hin zu kulinarisch lustvollen Verbraucherinnen und Verbrauchern. Die pflanzenbetonte Zukunft ist verführerisch, lecker und vielfältig – das macht Spaß!
3. Mehr Pflanze auf dem Teller ist einfach
Es geht nicht um Perfektion. Die ersten Schritte zählen. Wer mehr Obst und Gemüse ausprobieren will, muss es einfach haben. Das gilt auch für kooperierende Unternehmen, den Handel und die Verpflegung außer Haus.
4. Kommunikation ist mehrdimensional
Alle Best-Practice-Beispiele zeigen: Kommunikation ist nie eindimensional. Einzelne Maßnahmen finden kaum Erfolg; es bedarf stets ganzheitlicher Kommunikations- und Kampagnenansätze. Und es geht vor allem um Verstetigung. Beispiel: Wer die Mitarbeitenden im Handel schult, erreicht dauerhaft weitaus mehr, als kurzfristig den Laden zu plakatieren.
5. Think big
Es ist die Größendimension, die den Unterschied macht; Ideen als Impulse für ein breites Weitertragen durch viele Akteurinnen und Akteure. Lasst uns gemeinsam den Funken zünden, um eine pflanzenbetonte Ernährung in der gesellschaftlichen Breite zu befeuern. Und damit das klappt, brauchen wir Ernährungsumgebungen, die gutes, gesundes und nachhaltiges Essen auch wirklich allen Menschen ermöglicht. Passen Kommunikation und Ernährungsumgebung nicht zusammen, wird der Erfolg ausbleiben – und das macht letztendlich auch Politik unglaubwürdig. Kommunikationsangebote müssen daher unbedingt auch jene Personen adressieren, die Ernährungsumgebungen aktiv verändern und dauerhaft stärken können.
Jenseits der parallelen Fachforen fanden die Erkenntnisse auch im Plenum Gehör. Bernt Farcke, Abteilungsleiter im BMEL, schloss nach einem kurzen Resümee: „Wir müssen uns auf den Weg machen. Und nicht nur nachhause, sondern in eine nachhaltige Zukunft.“
Dr. Lars Winterberg, www.bzfe.de
Weitere Informationen:
BMEL-Pressemitteilung:
BMEL - Pressemitteilungen - Özdemir: Jugend ist Schlüssel für nachhaltige Landwirtschaft
Rede von Bundesminister Özdemir:
BMEL - Interviews, Reden und O-Töne - Nichts tun und abwarten ist keine Option!
(Bildquelle: BMEL)