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Während der Konsum tierischer Lebensmittel in reichen Ländern deutlich sinken müsste, um die Klimaziele zu erreichen, würden Menschen im globalen Süden von etwas mehr Fleisch profitieren.

udra11 / stock.adobe.com

Unter dem provokanten Titel „Tierische Lebensmittel und Nachhaltigkeit: Sollten wir alle Veganer werden?“ präsentierte Prof. Dr. Matin Qaim, Leiter des Zentrums für Entwicklungsforschung (ZEF) der Universität Bonn, aktuelle Erkenntnisse. „Das Thema verbindet Agrar- und Ernährungswissenschaften eng miteinander, wird kontrovers diskutiert und ist emotional aufgeladen“, sagte der Agrarökonom. Im Fokus stehen die Zusammenhänge zwischen Erzeugung und Konsum tierischer Lebensmittel, Gesundheits- und Nachhaltigkeitsaspekte.

Qaim stellte gleich zu Beginn positive und negative Aspekte gegenüber. So sind tierische Produkte für mehr als 40 Prozent der landwirtschaftlichen Wertschöpfung verantwortlich und sichern das Einkommen von rund 1,3 Milliarden Menschen. Sie sind eine wichtige Quelle für Protein und Mikronährstoffe und ihre Erzeugung basiert zum Teil auf der Nutzung von Gras als Futter, das Menschen nicht verwerten können. Auf der Gegenseite stehen zentrale negative Effekte eines hohen Fleischkonsums auf die Gesundheit, das Tierwohl und die ungünstige Umwelt- und Klimabilanz.

Gesundheit der Erde

Tierische Produkte seien für 15 bis 20 Prozent aller weltweiten Treibhausgasemissionen verantwortlich, erklärte Qaim. Am schlechtesten sähen die Umweltbilanzen von Mastrindern, gefolgt von Schafen, Ziegen, Rindern aus Milchviehhaltung, Käse, Schweinen und Geflügel aus. Und auch Fleischalternativen aus Laborfleisch reihten sich kurz hinter Schweinefleisch ein. Dasselbe gilt für den Vergleich von Kuhmilch mit pflanzlichen Alternativen: Kuhmilch zeichne für mehr als doppelt so viele Treibhausgasemissionen verantwortlich wie Milchalternativen aus Reis, Soja, Hafer oder Mandeln. Noch ungünstiger fallen die Vergleiche mit Blick auf Landnutzung, Eutrophierung von Gewässern oder Verbrauch von Frischwasser (abgesehen von Reis- und Mandelmilch) aus.

Als problematisch gilt außerdem die Konkurrenz zwischen Trog und Teller. Zwar seien 87 Prozent des Futters, das Tiere weltweit fressen, nicht direkt für die menschliche Ernährung geeignet; Futtergetreide und -pflanzen beanspruchten aber 40 Prozent der weltweiten Ackerfläche. „Müssten wir keine Tiere füttern, könnten wir diese Flächen der Natur zurückgeben oder sie für die menschliche Ernährung nutzen“, erläuterte Qaim. Stattdessen treibe die Ausdehnung von Acker- und Weideflächen die Entwaldung und den Verlust der Artenvielfalt voran. Zwar sinke der Fleischkonsum in reichen Ländern wie Deutschland seit etwa fünf Jahren leicht. Weltweit werde er aber weiter steigen. Diese Entwicklung fördern besonders Länder in Asien und Afrika, die bisher den niedrigsten Gesamt-und Pro-Kopf-Konsum von Fleisch hatten. Gründe liegen zum einen in deren steigenden Einkommen. Zum anderen erhöht das starke Bevölkerungswachstum den Gesamtverbrauch.

Gesundheit des Menschen

In Ländern wie Afrika könnte eine Zunahme des Fleischkonsums aber durchaus wünschenswert sein. Das verdeutlichte Qaim anhand von Zahlen zum „Child Stunting“, der Beeinträchtigung von Wachstum und Entwicklung bei Kindern aufgrund unzureichender Ernährung. Danach verringert der gelegentliche Konsum tierischer Produkte die Wahrscheinlichkeit von Child Stunting in Ländern wie Äthiopien, Malawi, Nigeria oder Tansania deutlich. Zwar sei eine gesunde Ernährung ohne tierische Produkte theoretisch auch hier möglich, in der Praxis scheitere es aber unter anderem am Einkommen und an der saisonalen und regionalen Verfügbarkeit von Gemüse und Obst.

In wohlhabenden Ländern stehen dagegen eher negative Gesundheitsfolgen im Vordergrund. So sei vor allem der Konsum von rotem und verarbeitetem Fleisch mit einer erhöhten Sterblichkeit und dem Risiko für bestimmte Erkrankungen assoziiert. Diese Erkenntnisse stammten allerdings überwiegend aus Kohortenstudien in Ländern, wo viel Fleisch gegessen wird. Sie seien daher nicht auf Situationen und Länder mit geringem Fleischkonsum übertragbar.

Wie gelingt der Wandel?

Die Ergebnisse der Planetary Health Diet zeigten, dass wir prinzipiell zehn Milliarden Menschen auf der Welt ernähren könnten, wenn alle Länder den Empfehlungen der Planetary Health Diet folgten. Das beinhalte auch, Menschen im globalen Süden den Zugang zu Fleisch zu erleichtern. Veganismus sei also nicht für alle der richtige Weg und global auch nicht die nachhaltigste Form der Ernährung. Denn geringe Mengen tierischer Produkte seien durchaus mit Nachhaltigkeit vereinbar, zum Beispiel durch eine effiziente Nutzung von Ressourcen und Kreislaufwirtschaft. Aber: „Wir müssen den Konsum tierischer Produkte bei uns drastisch reduzieren, wenn wir es mit der Nachhaltigkeit ernst meinen“, sagte Qaim.

Über Aufklärung und Bildung käme man hier nur langsam zum Ziel. Um den Wandel zu beschleunigen, bedürfe es wahrscheinlich staatlicher Regulierungen. Dazu könnten auch fiskalische Maßnahmen gehören, meinte Qaim, denn in Deutschland hinge die Nachfrage nach Lebensmitteln stark vom Preis ab. Mit Steuereinnahmen auf beispielsweise Fleisch ließen sich etwa Gemüse, Hülsenfrüchte, Obst und Nüsse subventionieren und so die Nachfrage steigern. Qaims Wunsch: „Mehr Mut zur Transformation.“

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BLE

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