Mangelernährung kann zwar prinzipiell in jedem Alter auftreten, das Risiko bei älteren Menschen ist jedoch durch altersbedingte Veränderungen deutlich höher mit teils erheblichen gesundheitlichen Folgen. Das Problem: Mangelernährung wird häufig nicht als solches erkannt oder beachtet. Die Symptome wie Blässe, Müdigkeit, Antriebslosigkeit und Gewichtsverlust sind eher unspezifisch und werden häufig als „Altersschwäche“ bezeichnet. Doch sie sind nicht selten Folge einer Mangelernährung. Das wichtigste Symptom ist der ungewollte Gewichtsverlust.
Was ist Mangelernährung?
Bei Mangelernährung besteht ein Mangel an Nahrungsenergie, Protein oder anderen Nährstoffen, der Körperfunktionen verändert, einen ungünstigen Krankheitsverlauf zur Folge hat und der sich durch entsprechende Ernährungstherapie rückgängig machen lässt. Unterschieden wird zwischen einer quantitativen und qualitativen Mangelernährung, die beide auch in Kombination vorkommen können. Bei der quantitativen Mangelernährung nimmt der Körper langfristig weniger Energie auf, als er benötigt. Bei der qualitativen Variante liegt ein Mangel an Protein oder anderen Nährstoffen vor. Kritisch kann im Alter neben der Energiezufuhr die Versorgung mit den Vitaminen D, E, Folat, B12 und C sein sowie mit den Mineralstoffen Calcium und Magnesium. Hinzu kommt, dass ältere Menschen häufig zu wenig trinken (DGE 2014).
Gesundheitliche Folgen
Bleibt die Mangelernährung unbehandelt, verschlechtert sich die Lebensqualität der Betroffenen: Sie verlieren an Gewicht, die Muskelkraft lässt nach und das Risiko für Stürze und Knochenbrüche nimmt zu. Die Wundheilung und die Funktion des Immunsystems sind beeinträchtigt und Mangelernährte brauchen länger, um sich von Krankheiten zu erholen. Auch Nerven und Gedächtnis werden in Mitleidenschaft gezogen. Insgesamt haben Mangelernährte ein höheres Risiko für zahlreiche Krankheiten und ein höheres Risiko, vorzeitig zu sterben.
Die Ursachen einer Mangelernährung können vielfältig sein: Möglich sind physiologische Veränderungen wie nachlassendes Durstempfinden oder Probleme beim Kauen oder Schlucken, eine Grunderkrankung, die die Nahrungsaufnahme beeinträchtigt, die Einnahme von Medikamenten oder psychische Veränderungen wie Vergesslichkeit oder Einsamkeit.
Die Situation in Kliniken und Pflegeheimen
Mangelernährung ist vor allem ein Problem älterer Menschen. Während jüngere Senior*innen eher zu Übergewicht neigen, kommt die quantitative Mangelernährung häufiger bei Hochbetagten (75-89 Jahre) vor. Auch kranke Seniorinnen und Senioren sind öfters mangelernährt. In deutschen Kliniken sind bis zu 30 Prozent der Patient*innen mangelernährt, in deutschen Pflegeheimen bis zu 25 Prozent. Das zeigt eine Auswertung von Daten des nutritionDay (14. DGE-Ernährungsbericht). Je nach Station in der Klinik können die Zahlen auch fast doppelt so hoch liegen (Pirlich et al. 2006). Mangelernährte Personen hatten ein deutlich höheres Risiko vorzeitig zu sterben und ihr Krankenhausaufenthalt dauerte wesentlich länger.
nutritionDay Der nutritionDay ist ein Aktionstag, an dem seit über zehn Jahren jährlich weltweit Stationen von Krankenhäusern und Pflegeheimen teilnehmen. Sie dokumentieren an diesem Tag mittels Fragebogen den Ernährungszustand und die Ernährungsversorgung ihrer Patient*innen. Der nutritionDay 2024 findet am 14. November statt.
Die Daten des nutritionDay verdeutlichen aber auch, dass erforderliche Ernährungsstrukturen in Deutschland im Unterschied zu anderen europäischen Ländern nicht standardmäßig vorhanden waren: Nur zehn Prozent der deutschen Kliniken und 30 Prozent der Pflegeheime verfügten 2018 über eine Diätassistenz. Ein Ernährungsteam gab es in 58 Prozent der Kliniken und in 45 Prozent der Pflegeheime. Dabei wurden Ernährungsmaßnahmen wie das Verabreichen von angereicherter Kost oder Trinknahrung deutlich häufiger durchgeführt, wenn Ernährungsfachkräfte tätig waren und routinemäßig auf Mangelernährung untersucht wurde.
Individuelle Ernährungstherapie – ein Plus für die Genesung
Wie wichtig eine Ernährungstherapie für mangelernährte Patientinnen und Patienten im Krankenhaus ist, zeigt eine Studie mit Erkrankten im Alter von 70 Jahren (Schuetz et al. 2019). Eine Gruppe der Mangelernährten erhielt für 30 Tage eine individuell abgestimmte Ernährungstherapie mit berechnetem Kalorien- und Proteingehalt, Zwischenmahlzeiten, angereicherter Kost und Trinknahrung, die andere Gruppe bekam die übliche Krankenhauskost. In der Gruppe von Patient*innen mit Standardessen erlitten 27 Prozent schwere gesundheitliche Komplikationen wie Atemstillstand, Infektionen und Herz-Kreislauf-Ereignisse. Von den Teilnehmenden mit dem individuellen Essen waren nur 23 Prozent betroffen. Der Unterschied mag nicht groß erscheinen. Doch in der Gruppe mit Ernährungstherapie ließ sich im Vergleich zur anderen Gruppe auf 25 Patient*innen eine schwere Komplikation verhindern und auf 37 ein vorzeitiger Todesfall. Demnach können mangelernährten Personen von einer individuell auf die Bedürfnisse abgestimmten Krankenhauskost profitieren.
Und schmecken muss das Essen auch
Gerade für Personen im Krankenhaus ist es wichtig, ausreichend und bedarfsgerecht versorgt zu werden. Auf die Frage, warum Patientinnen und Patienten in Krankhäusern so schlecht essen, nannten die Betroffenen am häufigsten fehlenden Hunger. Weitere Gründe waren, dass sie den Geruch und Geschmack der Speisen im Krankenhaus nicht mochten. Die Angaben zeigen, wie wichtig ein schmackhaftes Essensangebot ist, das den Bedürfnissen und, wenn möglich, auch den Vorlieben gerecht wird.
Die Deutsche Gesellschaft für Ernährung (DGE) hat entsprechende Qualitätsstandards für die Verpflegung in Krankenhäusern und Rehabilitationskliniken entwickelt. Die Leitfäden sollen dabei unterstützen, ein gesundheitsförderndes Speisenangebot umzusetzen. Krankenhäuser und Rehabilitationskliniken können sich nach diesen Qualitätsstandards zertifizieren lassen. Unter www.station-ernaehrung.de gibt es neben umfassenden Informationen zu den Qualitätsstandards auch eine Rezeptdatenbank und Speisepläne für vier Wochen.
Was Angehörige tun können – aufmerksam beobachten
Anzeichen einer Mangelernährung erkennen
- Die Mahlzeit wird nicht mehr vollständig aufgegessen oder komplett abgelehnt.
- Es fehlt der Appetit beim Essen. Das Essen schmeckt nicht mehr.
- Getränke werden verweigert. Durch die geringe Trinkmenge werden Haut und Schleimhäute trocken und die Haut zeigt Risse.
- Kleidung und Schmuck sitzen immer lockerer.
- Der oder die Betroffene zeigt Einschränkungen oder Schmerzen, die Essen und Trinken behindern oder erzählt davon.
(nach DGE 2014)
Generell verspricht die Behandlung von Mangelernährung den größten Erfolg, wenn sie erkannt wird, bevor die Betroffenen stark an Gewicht verlieren. Denn ein Gewichtsverlust ist im Alter nur schwer wieder auszugleichen. Am besten ist natürlich, wenn es gar nicht erst zur Mangelernährung kommt und die ersten Symptome frühzeitig erkannt werden.
Wer einen engen Kontakt zu älteren Menschen hat, wie Verwandte oder Pflegekräfte, und sie aufmerksam beobachtet, kann Anzeichen eines schlechten Ernährungszustands möglicherweise früh bemerken und diese Beobachtung am besten direkt mit der Ärztin oder dem Arzt besprechen. Das ärztliche Personal wird entsprechend weitere Schritte zur Diagnosestellung und falls erforderlich eine Therapie einleiten.
Selbst wenn das Essen in der Klinik bedarfsgerecht, ausgewogen und schmackhaft ist, kann es sein, dass die erkrankte Person keinen Appetit hat – aus welchen Gründen auch immer. Vor allem wenn das Risiko für eine Mangelernährung besteht, können eventuell auch Angehörige Initiative zeigen und versuchen, Betroffene zu motivieren, ausreichend zu essen und zu trinken. Vielleicht hilft es bereits, den Teller mit Speisen und Getränke zu reichen oder die Person beim Essen zu unterstützen. Angehörige können sich zudem erkundigen, ob es in der Klinik eine Ernährungsfachkraft gibt, mit der die Esssituation, Vorlieben und Abneigungen besprochen werden können.
Informationen für Fachkräfte
- Neuer Leitfaden zur Ernährungstherapie in Klinik und Praxis (LEKuP)
Der Leitfaden wurde von sieben deutschen ernährungsmedizinischen Gesellschaften und Verbände erstellt und definiert eine gesundheitsfördernde Ernährung sowie ernährungstherapeutische Kost bei ernährungsmitbedingten Krankheitsbildern. Ein Kapitel ist dem Thema Mangelernährung gewidmet.
zum Leitfaden
- DGEM-Leitlinie „Klinische Ernährung in der Intensivmedizin“
Die Leitlinie gibt aktuelle Handlungsempfehlungen zur enteralen und parenteralen Ernährung erwachsener Patienten, die an mindestens einer akuten, medikamentös und/oder mechanisch unterstützungspflichtigen Organdysfunktion leiden:
zur Leitlinie
- DGE-Qualitätsstandard für die Verpflegung in Kliniken
Die Qualitätsstandards unterstützen Verantwortliche für die Verpflegung in Krankenhäusern und Rehabiliationskliniken bei der Umsetzung einer bedarfsgerechten und ausgewogenen Verpflegung:
zu den DGE-Qualitätsstandards
Quellen:
Deutsche Gesellschaft für Ernährung (DGE, Hrsg.): Mangelernährung im Alter. 2. Aufl, Bonn 2014
Deutsche Gesellschaft für Ernährung (DGE, Hrsg.): Mangelernährung in Kliniken. Bonn, 2018
Deutsche Gesellschaft für Ernährung (DGE, Hrsg.): 14. DGE-Ernährungsbericht. Bonn, 2020
Deutsche Gesellschaft für Ernährung (DGE): Gesundheitsproblem: Mangelernährung in deutschen Kliniken und Pflegeheimen. Presseinformation DGE aktuell 22/2019 vom 10.10.2019
Pirlich M, Schütz T, Norman K et al.: The German hospital malnutrition study. Clin Nutr 2006; 25: 563–72
Schuetz P, Fehr R, Baechli V et al.: Individualised Nutritional Support in Medical Inpatients at Nutritional Risk: A Randomised Clinical Trial. Lancet 2019; 393 (10188): 2312-2321