- Die Idee der Regionalwert AG: Bürger*innen beteiligen sich durch den Kauf von Aktien an derzukunftsfähigen Entwicklung der Region.
- Durch finanzielle Beteiligungen und ein regionales Partner-Netzwerk stärken die Regionalwert AGs regionale Bio-Betriebe, die besonders nachhaltig arbeiten.
- Mittlerweile gibt es neun Regionalwert AGs in Deutschland und Österreich, weitere befinden sich in Vorbereitung auf die Gründung.
Die Idee der Regionalwert AGs
Regionalwert AGs setzen sich dafür ein, dass die Lebensmittelwertschöpfung wieder innerhalb einer Region stattfindet. Vor Ort soll ein Netzwerk aus Partnerbetrieben aufgebaut werden – vom Acker bis zum Teller.
Regionalwert AGs finanzieren sich durch sogenannte Bürgeraktien: Bürger*innen kaufen Aktien. Die Regionalwert AGs können sich dadurch an regionalen landwirtschaftlichen Betrieben sowie an Unternehmen aus vor- und nachgelagerten Bereichen beteiligen. Neben Privatpersonen können auch Gemeinden oder Kommunen die Regionalwert-Aktien erwerben.
Gewinne und Dividenden?
Wie andere Unternehmen auch wollen die Regionalwert AGs langfristig Gewinne machen. Erst dann sind laut ihrer Statuten auch Dividendenzahlungen vorgesehen. Das ist bisher bei keiner der Regionalwert AGs der Fall. Auf lange Sicht sind sich aber alle Beteiligten sicher, schwarze Zahlen schreiben zu können. Im Vordergrund steht jedoch der „Gewinn mit Sinn“.
Die Vorteile einer Regionalwert AG
- Aktionär*innen und Unternehmen übernehmen Verantwortung für eine nachhaltige Ernährungsversorgung in der Region.
- Alle Beteiligten können regionale Wirtschaftsstrukturen nach ökologischen Kriterien erhalten und weiterentwickeln.
- Die Aktionär*innen können durch ihren Einsatz auf ein größeres Angebot ökologisch erzeugter, regionaler Lebensmittel zurückgreifen.
- Die Investitionen unterstützen eine vielfältige Kulturlandschaft und die biologische Artenvielfalt in der Region.
- In ländlichen Regionen können neue Arbeitsplätze geschaffen werden.
- Die Aktionär*innen können durch ihre Anteile die Lebensmittelerzeugung positiv beeinflussen. Sie entscheiden mit und können so die lokale Ernährungssouveränität erhöhen.
- Die Partnerbetriebe unterstützen sich gegenseitig und tauschen sich auch fachlich aus.
- Durch das unternehmerische Handeln sollen gesellschaftliche Problemstellungen gelöst und eine Ernährungs- bzw. Agrarwende vorangetrieben werden.
Beispiel aus der Praxis
Ein Haferdrink aus regionalen Zutaten, am Produktionsort in Glasflaschen abgefüllt – das war die Vision von Paavo Günther und Achim Fießinger.
Heute sind die beiden Männer Betriebsleiter der Havelmi eG im beschaulichen Beetzseeheide in Brandenburg. Was den Jungunternehmern zunächst fehlte, waren Kapital und Produktionstechnik. Wo klassische Banken eher abwinken, kam die Regionalwert AG Berlin-Brandenburg ins Spiel: Sie beteiligte sich nicht nur an der Havelmi eG, sondern ebenso an der nahegelegenen, seit Jahren etablierten MostManufaktur Havelland. Dort steht nun die Produktionsanlage des Haferdrinks. Die Havelmi eG profitiert von der Infrastruktur, dem Personal und auch vom Vertriebsnetz der MostManufaktur Havelland.
Derzeit plant das Haferdrink-Startup gemeinsam mit der MostManufaktur Havelland seinen Umzug an einen neuen Produktionsstandort in Brandenburg an der Havel. Dort sollen weitere Mitarbeiter*innen eingestellt und das enkeltaugliche Wirtschaften fortgeführt werden.
Genau das macht den Regionalwert-Gedanken aus: Regionalwert-Betriebe verstehen sich als Partner.
So wirtschaften Regionalwert AGs
Regionalwert AGs verstehen sich als Bürgeraktiengesellschaften. Dieser Begriff ist rechtlich nicht geschützt. Dahinter steht ein Konzept, das etwas anders ist als bei klassischen Aktiengesellschaften:
- Bürger*innen kaufen Aktien und bestimmen mit, was mit ihrer Kapitaleinlage passiert.
- Regionalwert-Aktien werden nicht frei an der Börse gehandelt. Das beugt Spekulationen vor, die der Regionalwert-Idee entgegenstehen.
- Wer Regionalwert-Aktien kauft, wird mit Namen und Adresse im Aktienbuch eingetragen – anders als beim klassischen Aktienmarkt.
- Auf der jährlich stattfindenden Hauptversammlung berichten alle Unternehmen, die von den Regionalwert-Kapitaleinlagen profitieren, persönlich über ihre Betriebe und Geschäftsverläufe.
Das Eigenkapital der Regionalwert AGs fließt in ihre Partnerbetriebe. Gewinne oder Verluste der Partnerbetriebe laufen über das Konto der Regionalwert AGs. Risiken fangen Regionalwert AGs auf, indem sie ihr Kapital fachlich und räumlich möglichst breit streuen.
Die Partnerbetriebe verpflichten sich, soziale und ökologische Nachhaltigkeitsstandards einzuhalten und damit einen „ökologischen Mehrwert“ zu erzeugen. Sie geben Rechenschaft über ihren finanziellen Erfolg und über die Einhaltung von Nachhaltigkeitskriterien ab.
Die Regionalwert-Nachhaltigkeitsanalyse
Hohe Renditen sind bei den Regionalwert AGs erst einmal nicht zu erwarten, jedenfalls nicht im althergebrachten, finanziellen Sinne. Mit ihrer Investition sorgen die Regionalwert-Aktionäre aber zum Beispiel für die Finanzierung positiver Umweltleistungen. Um diese Umweltleistungen, zum Beispiel in Bilanzen, sichtbar zu machen, wurde im Jahr 2020 im Rahmen eines Forschungsprojektes ein digitales Analysetool entwickelt: Die Regionalwert-Nachhaltigkeitsanalyse zeigt anhand von 200 Kennzahlen, was die Betriebe sowohl ökologisch als auch sozial leisten.
Wer wird gefördert?
Die Regionalwert AGs unterstützen landwirtschaftliche Betriebe und nachgelagerte Unternehmen aus Verarbeitung und Vertrieb, die für viele Investoren wegen mangelnder finanzieller Rendite unattraktiv sind.
Damit die Regionalwert-Idee aufgeht, muss die Mischung der Partner stimmen. Ein ortsansässiges Bio-Restaurant alleine hätte beispielsweise zu wenig Kapazitäten, um sämtliches Gemüse von einem Bio-Gemüsehof zu verarbeiten. Siedeln sich aber zusätzlich zum Beispiel ein Suppenhersteller und ein Bioladen in der Region an, geht das Konzept auf. Solche Betriebsgründungen würde eine Regionalwert AG dann gezielt unterstützen, wenn die ökologischen und sozialen Mindeststandards stimmen.
Was wird gefördert?
Auf der Finanzierungsliste der Regionalwert AGs stehen zum Beispiel
- Investitionen in Betriebsentwicklungen wie die Umstellung auf Ökolandbau,
- der Aufbau einer Direktvermarktung,
- ortsansässige Verarbeitungsbetriebe wie Bio-Caterings oder Manufakturen,
- und der Aufbau regional organisierter Vermarktungsstrukturen – vom Bio-Großhandel, über Abo-Kisten bis hin zum Dorfladen.
Was bedeutet Ernährungssouveränität?
Ernährungssouveränität bezeichnet das Recht aller Völker und Länder, ihre Landwirtschafts- und Ernährungspolitik selbst zu definieren.
Der Begriff wurde anlässlich der Welternährungskonferenz 1996 von der internationalen Kleinbauern- und Landarbeiterbewegung La Via Campesina geprägt. Es handelt sich nicht um einen wissenschaftlichen Fachbegriff, sondern um ein politisches Konzept, das mit diversen Forderungen, wie beispielsweise dem Zugang zu Land, einhergeht.
In unseren Breiten wird Ernährungssouveränität zunehmend so ausgelegt, dass Verbraucher*innen ihre Ernährung selbst in die Hand nehmen und sich unabhängig von existierenden Wirtschaftsweisen machen. Immer mehr Menschen engagieren sich in nachhaltigen Ernähringsinitiativen wie z. B. in Ernährungsräten oder bei solidarischen Landwirtschaften und tragen somit zu einer nachhaltigen, demokratischen und zukunftsweisenden Form der Lebensmittelproduktion bei. Ernährungssouveränität stellt die Menschen, die Lebensmittel erzeugen, in den Mittelpunkt statt die Interessen globaler Märkte und Konzerne.
Die Gründung der Regionalwert AGs
Die erste Regionalwert AG wurde 2006 von Christian Hiß in Freiburg gegründet. Der ökologische Landwirt und Gärtner benötigte Ende der 1990er Jahre Kapital, weil er seinen Gemüsebaubetrieb um einen Milchbetrieb erweitern wollte. Das Milchvieh sollte ihn u. a. nach dem Prinzip des Ressourcenkreislaufs unabhängig von Dünger aus fossilen Quellen machen. Der Banksachbearbeiter lehnte den Antrag jedoch ab. Christian Hiß suchte nach neuen Möglichkeiten seine Idee zu finanzieren und entwickelte die Idee der Regionalwert AG.
Die Erfahrungen, die die Regionalwert AG Freiburg gemacht hat, gibt sie an andere Regionalwert AGs weiter, damit diese darauf aufbauen können.
Die Regionalwert Impuls GmbH ist die Dachorganisation der neun bestehenden Regionalwert AGs und der Initiativen, die sich derzeit in Vorbereitung auf die Gründung befinden. Sie wurde von Christian Hiß und den Regionalwert AGs Freiburg, Hamburg, Rheinland und Berlin-Brandenburg im Sommer 2020 gegründet. Aufgabe der Regionalwert Impuls GmbH ist es, das Regionalwert-Modell weiterzuentwickeln und zu verbreiten, die Interessen der Regionalwert-AGs zu bündeln und zu vertreten sowie die Aktivitäten der Regionalwert-AGs zu koordinieren. Geschäftsführer ist Stefan Gothe, einer der Aufsichtsräte der Regionalwert AG Rheinland.
Kurzinterview mit Christian Hiß, Gründer und Vorstand der ersten Regionalwert AG in Freiburg
Was gab für Sie den Anlass, die Regionalwert-Idee zu entwickeln?
In der Zeit von 1995 bis 2005 haben wir einen gesellschaftlichen Dialog geführt mit Landwirt*innen, Konsumenten*innen, Politiker*innen, Wissenschaftlicher*innen. Es ging um die Zukunft der Landwirtschaft. So entstand das Konzept der Bürgeraktiengesellschaft als eine Art Gesellschaftsvertrag zwischen Gesellschaft und Landwirtschaft. Die Idee ist: Bürger*innen investieren in Betriebe der gesamten Wertschöpfungskette der ökologischen Land- und Ernährungswirtschaft und sind daran gewinn- und verlustbeteiligt.
Was ist Ihr persönliches Bild von Regionalwert-Aktionärinnen und Aktionären?
Es sind Menschen, die sich für die Zukunft der regionalen Nahrungsmittelversorgung engagieren wollen. Durch die unternehmerische Beteiligung wird Verantwortung unternommen. Die Aktionär*innen erfahren mehr vom sozioökonomischen und betriebswirtschaftlichen Hintergrund der Landwirtschaft als nur als Konsument.
Welche Zwischenbilanz ziehen Sie nach knapp 15 Jahren Regionalwert AG in Freiburg?
Das Konzept gewinnt immer mehr Akzeptanz. Neue Betriebe und Aktionär*innen kommen in allen Regionen dazu. Die Berichterstattung über die sozialen, ökologischen und regionalwirtschaftlichen Leistungen und Risiken bestätigen sich nach 15 Jahren als wegweisend. Die Einbeziehung solcher Leistungen und Werte in die Erfolgsmessung von Unternehmen wird zum Mainstream.