Ernährungsräte

Netzwerke für die Ernährungswende in Städten und Gemeinden

Eine Menschengruppe aus dem Netzwerk Ernährungsräte mit einem Transparent mit der Aufschrift "Ernährungsdemokratie jetzt!". © Kathi Girnuweit
  • Seit dem Jahr 2016 haben sich allein in Deutschland mehr als 60 Ernährungsräte gegründet.
  • Das Ziel der Ernährungsräte ist es, die nachhaltige und lokale Lebensmittelversorgung in Städten und Gemeinden zu verbessern.
  • Dazu knüpfen sie ein partnerschaftliches Netzwerk zwischen Politik, Verwaltung, Landwirtschaft, Handel, Verbraucherinnen und Verbrauchern sowie der Gastronomie.
  • In diesem Artikel erfahren Sie, wie Ernährungsräte arbeiten und was sie bewirken können.

Ernährungssouveränität vor Ort schaffen

Die Ernährungswende beginnt vor unserer Haustür: Davon sind die Menschen überzeugt, die Ernährungsräte gründen oder es schon getan haben. Solche Initiativen gibt es mittlerweile in über 60 Städten und Kreisen in Deutschland. Sie wollen vor Ort mitentscheiden, wie und unter welchen Bedingungen unser Essen auf dem Teller landet. Das ist gelebte Ernährungsdemokratie.

Ernährungsräte sorgen dafür, dass es in Städten wieder mehr lokale und nachhaltig erzeugte Lebensmittel gibt. Dafür arbeiten Experten aus der Land- und Ernährungswirtschaft, der Bürgerschaft und der Verwaltung zusammen. Ihr Ziel: Ein Masterplan für die regionale Ernährungspolitik. Die Idee dazu ist schon einige Jahrzehnte alt: Der erste Ernährungsrat der Welt entstand 1982 in Knoxville/USA als Antwort auf die Ernährungsprobleme der Stadt. In Nordamerika gibt es solche "Food Policy Councils" mittlerweile in über 260 Städten. Das Konzept verbreitete sich in den letzten zehn Jahren auch in England, Frankreich und den Niederlanden. 

Nun ist es auch in Deutschland angekommen. Bisher wird bei uns Ernährungspolitik vor allem auf Bundes-, Landes- oder EU-Ebene gemacht – die Ernährungsräte wollen diese wichtige Aufgabe zurück in die Regionen holen, auf die kommunale Ebene.

Ernährungsräte können viel bewirken

Ernährungsräte stellen den Dialog zwischen Politik, Verwaltung, Landwirtschaft, Handel, Verbraucherinnen und Verbrauchern sowie Gastronomen her. Ihr Ziel ist es, die nachhaltige und lokale Lebensmittelversorgung in den Städten zu verbessern. Gleichzeitig geht es um die Stärkung von kleinbäuerlichen Betrieben und den Aufbau von regionalen und fairen Handelsstrukturen. Aber auch einkommensschwache Haushalte sollen Zugang zu nachhaltigen Lebensmitteln bekommen. Kurz: Ernährungsräte knüpfen ein partnerschaftliches Netzwerk für mehr regionale und nachhaltige Ernährung und holen die Versorgung zurück auf die lokale Ebene.

Ernährungsräte haben in erster Linie eine beratende Funktion inne. Dort engagieren sich Ernährungsfachleute aus Forschung, Wirtschaft und öffentlicher Verwaltung, aber auch Personen aus Landwirtschaft, Handel, Vertrieb und Gastronomie sowie weiterem Enährungshandwerk genauso wie zivilgesellschaftliche Vereine, Gesundheitsinitiativen und Bildungseinrichtungen. Diese Vielfalt gewährleistet Transparenz und möglichst breite Akzeptanz. Zu den Aufgaben der Räte gehören die Sammlung und die Evaluation von Informationen rund um das lokale Ernährungssystem, die Beratung von kommunaler Politik und Verwaltung sowie die Vernetzung von (möglichst) allen Akteurinnen und Akteuren, die im lokalen und regionalen Ernährungssystem eine Rolle spielen.

Ziele und Projekte von Ernährungsräten

Ein Ernährungsrat erarbeitet Vorschläge für ganzheitliche Strategien und initiiert und unterstützt auf lokale Bedürfnisse zugeschnittene Programme und Projekte. Das können zum Beispiel sein:

  • gesunde und regionale Essensversorgung in Großküchen anstoßen
  • Gartenbauprojekte initiieren und Urban Gardening voranbringen
  • alternative Formen der Landwirtschaft fördern
  • einen Regionalmarkt für Betriebe aus der Umgebung etablieren
  • Informations- und Austauschplattform für Menschen sein, die sich für nachhaltige Ernährung einsetzen wollen

So arbeiten Ernährungsräte

In den meisten Ernährungsräten arbeitet die Verwaltung mit Organisationen aus der Zivilgesellschaft zusammen. Die konkrete Verfasstheit und Rechtsform kann aber unterschiedlich sein: In einigen Kommunen ist es ein Gremium der Stadtverwaltung mit geregelten Aufgaben und Kompetenzen, die ihm vom Stadtparlament verliehen wurden. In anderen ist der Rat als Verein unabhängig und wirkt beratend.

Den ersten deutschen Ernährungsrat in Köln trägt beispielsweise ein eingetragener Verein. Das 30-köpfige Gremium setzt sich zu je einem Drittel aus ehrenamtlich engagierten Mitgliedern der Zivilgesellschaft, Vertretern der Wirtschaft, darunter erzeugnde Betriebe aus dem Umland, und Mitarbeitenden der Stadtverwaltung zusammen.

Rund um den Ernährungsrat haben sich vier Ausschüsse gebildet: Einer für regionale Direktvermarktung, einer für Ernährungsbildung und Gemeinschaftsverpflegung, ein weiterer Ausschuss für Urbane Landwirtschaft/Essbare Stadt und schließlich einer zu Gastronomie und Lebensmittelhandwerk. Hier läuft die inhaltliche Arbeit, bei der sich über 100 Menschen ehrenamtlich engagieren. Sie erarbeiten Projektziele und erstellen Empfehlungen, die der Rat dann an die Stadtverwaltung weitergibt, beispielsweise auf welchen Wegen die Schulverpflegung regionaler gestaltet werden kann. Die Stadt Köln stellt Räumlichkeiten zur Verfügung und gibt organisatorische Unterstützung.

Ernährungsräte in Deutschland

Die ersten Ernährungsräte gründeten sich im Frühjahr 2016 zuerst in Köln und dann in Berlin. In der zweiten Jahreshälfte 2017 folgten dann Frankfurt, Dresden, Oldenburg und das Saarland. Beim ersten bundesweiten Netzwerktreffen im November 2017 in Essen kamen 44 interessierte Initiativen aus Deutschland, der Schweiz, Österreich und der Region Südtirol zusammen. Mittlerweile gibt es mehr als 60 Ernährungsräte in Deutschland.

Netzwerk der Ernährungsräte

Lokal handeln, bundesweit vernetzen – unter dem gemeinsamen Nenner “Ernährungsdemokratie jetzt!” wurde im März 2023 das Netzwerk der Ernährungsräte gegründet. Es ist die Interessensvertretung von inzwischen mehr als 60 Ernährungsräten in Deutschland. Als Dachorganisation will das Netzwerk ihre Interessen bündeln und die Debatte um den klimagerechten, ökologisch und sozial nachhaltigen Wandel unseres Landwirtschafts- und Ernährungssystems befeuern und voranbringen.  

Mehr Informationen finden Sie auf der Website des Netzwerks der Ernährungsräte

Kurzinterview mit dem Dokumentarfilmer Valentin Thurn, dem Initiator des ersten deutschen Ernährungsrates in Köln

Was hat Sie persönlich bewegt, einen Ernährungsrat in Köln zu gründen?

„Nach dem Film „10 Milliarden“ und unserem Buch „Harte Kost“ zur Zukunft der Welternährung war es ein folgerichtiger Schritt, jetzt mit der Ernährungssouveränität vor Ort zu beginnen.“

Wo sehen Sie die Probleme?

„Die Kölnerinnen und Kölner konsumieren viele importierte Lebensmittel und entfremden sich zunehmend von ihrem Umland. Landwirtschaftliche Betriebe in der Region müssen hingegen aufgeben, weil sie dem Preisdruck nicht mehr standhalten können. Diesem Teufelskreis gilt es, Einhalt zu gebieten. Wenn mehr Bürgerinnen und Bürger regionale Lebensmittel nachfragen, erhält dies kleinbäuerliche Familienbetriebe, unterstützt das lokal verarbeitende Handwerk und belässt so die Wertschöpfung in der Region.“

Welche Erfolge gibt es nach zwei Jahren Aufbauarbeit?

„Die Träger der Kölner Kitas haben sich mit uns in einem Arbeitskreis zusammengeschlossen und schaffen Modellküchen, die sich regional versorgen. Essen aus der Region ist für alle Kölner Kinder- und Jugendheime bereits beschlossene Sache. Wir gehen davon aus, dass sie sich bereits in diesem Jahr zur Hälfte damit versorgen können. Würden sich jetzt alle 300 Kitas anschließen, hätten wir allerdings ein Mengenproblem: So viele Landwirtschaftsbetriebe haben wir noch gar nicht beisammen.“

Drei Tipps zur Gründung eines Ernährungsrats

Leitfaden für Ernährungsinitiativen

In vielen Städten und Gemeinden gibt es schon Initiativen, in denen sich Bürgerinnen und Bürger für eine nachhaltige lokale Ernährungsversorgung einsetzen. Ihr Ziel ist es, regionale Ernährungskonzepte zu schaffen und die Vorsorge für gutes und sicheres Essen zum Teil der lokalen Politik zu machen. Um ernährungsbewegte Menschen bei der Gründung einer solchen Initiative zu unterstützen, hat das Institut für Welternährung (IWE) einen umfassenden Leitfaden herausgegeben. Er ist innerhalb des Projektes “Ernährungswende” entstanden, das vom Umweltbundesamt gefördert wurde.

Den Leitfaden  können Sie auf der IWE-Website herunterladen