- Im Moment lohnt es sich für Unternehmen nicht, die biologische Vielfalt zu verbessern, Treibhausgase zu reduzieren oder Gewässer zu schützen. Denn diese Leistungen werden nicht angemessen honoriert.
- Das führt dazu, dass gut zwei Drittel der Lebensmittel in Deutschland umweltschädlich produziert werden. Sie überlasten unsere Wasserressourcen, das Klima und die Böden und gefährden die biologische Vielfalt.
- Die Regionalwert-Leistungsrechnung ermittelt, welche positiven und bisher unsichtbaren Leistungen Bio-Betriebe für die Umwelt und die Gesellschaft erbringen. Sie wurde von Fachleuten aus Wissenschaft und Praxis entwickelt und erprobt.
- Dr. Jenny Lay-Kumar zeigt in ihrem Vortrag, wie die Regionalwert-Leistungsrechnung funktioniert und welches Potenzial sie für die Transformation der Land- und Ernährungswirtschaft hat.
Nachhaltigkeit rechnet sich oft nicht
Unsere Lebensmittelproduktion ist mitverantwortlich für die Zerstörung unserer Ernährungsgrundlagen. Sie überlastet Nährstoffkreisläufe, reduziert die biologische Vielfalt und fördert die Erderwärmung. 60 bis 70 Prozent aller Lebensmittel in Deutschland werden so produziert, dass die planetaren Belastungsgrenzen überschritten werden. Das ist das Ergebnis von umfangreichen Studien, unter anderem des Potsdam Instituts für Klimafolgenforschung. Diese zeigen: Wir müssen die Lebensmittelproduktion grundlegend ändern, damit langfristig alle Menschen auf diesem Planeten gut und nachhaltig essen können. Von der notwendigen Transformation der Ernährungs- und Landwirtschaft sind wir jedoch weit entfernt. Denn Nachhaltigkeit rechnet sich für die meisten Unternehmen nicht. „Es wird falsch gerechnet, denn Nachhaltigkeitsleistungen und Schäden werden nicht eingerechnet," sagt Dr. Jenny Lay-Kumar, Gründerin und Geschäftsführerin der Regionalwert Research gGmbH, die sich der wissenschaftlichen Weiterentwicklung der Regionalwert-Leistungsrechnung verschrieben hat.
„Die aktuellen Preise und die aktuelle Betriebswirtschaft spiegeln die Realität nicht vollständig wider.“ (Dr. Jenny Lay-Kumar)
Nur was man kennt, kann man fördern
Mit der Regionalwert-Leistungsrechnung lassen sich die Leistungen ermitteln, die Betriebe für die Umwelt, die Gesellschaft und die regionale Wirtschaft erbringen und die in sonst in keiner Bilanz auftauchen. Rund 300 Kennzahlen fließen in die Nachhaltigkeitsanalyse ein, etwa die Art der Düngung, die Herkunft von Futtermitteln, der Einsatz von samenfesten Sorten und die Anzahl von Fach- und saisonalen Arbeitskräften. Auch Themen wie Arbeitsplatzqualität und regionale Vernetzung spielen eine wichtige Rolle. Erfahrene Betriebsleitungen können diese Analyse mit etwas Unterstützung in gut einem Tag selbst durch führen. Dafür benötigen sie hauptsächlich Daten aus ihrer Buchführung. Das Ergebnis wird mit Ampelfarben bewertet und weist Stärken und Schwächen eines Betriebes aus. „Man sieht also auf den ersten Blick, wie ein Unternehmen abschneidet“, sagt Lay-Kumar.
Erst dadurch, dass die Regionalwert-Leistungsrechnung die positiven Wirkungen von landwirtschaftlichen Betrieben auf die Umwelt und Gesellschaft sichtbar und messbar macht, wird es möglich, diese gezielt zu fördern. Mit diesem Ansatz unterscheidet sich die Regionalwert-Leistungsrechnung von der True-Cost-Forschung, die sich auf die Folgeschäden der industriellen Lebensmittelproduktion konzentriert – auf die „wahren Kosten“, die bisher nicht auf dem Preisschild stehen, sondern auf die Allgemeinheit verlagert werden.
Beispiel Neumarkter Lammsbräu
Ein praktisches Anwendungsbeispiel für die Regionalwert-Leistungsrechnung ist auch die Firma Neumarkter Lammsbräu. Das Getränkeunternehmen ließ ermitteln, welche Nachhaltigkeitsleistungen die landwirtschaftlichen Bio-Betriebe erbringen, die es mit Getreide und Braurohstoffen beliefern. Sie kamen auf 53.200 Euro pro Hof – so viel Mehrwert erbringt jeder Landwirtschaftsbetrieb der regionalen Erzeugergemeinschaft durchschnittlich pro Jahr für Umwelt und Gemeinwohl. Und zwar zusätzlich zu den erzeugten Lebensmitteln. Rechnet man die Studienergebnisse exemplarisch auf alle 180 Lieferbetriebe von Lammsbräu hoch, erwirtschaften diese jährlich knapp 9,6 Millionen Euro an Mehrwert. Dieser Wert taucht bisher in keiner Bilanz auf.
Beispiel EVG Landwege
Ein ähnliches Modellprojekt hat die EVG Landwege durchgeführt. Allein 16 Zulieferbetriebe dieser regionalen Erzeuger-Verbraucher-Genossenschaft im Lübecker Land erbringen Nachhaltigkeitsleistungen im Wert von rund 1,5 Millionen Euro. Landwege eG gehört zu den Bio-Pionieren der Regionalvermarktung. Die Genossenschaft hat in den vergangenen 25 Jahren einen regionalen Lebensmittelhandel mit sechs Bio-Märkten aufgebaut, die unter anderem von 30 Bio-Betrieben im Umkreis von 100 Kilometern beliefert werden.
Potenziale für den Wandel der Ernährungswirtschaft
Nicht nur die Landwirtschaft, auch die Ernährungswirtschaft und der Lebensmittelhandel können viel dazu beitragen, dass sich sozial-ökologische Leistungen wieder lohnen. Zum Beispiel, indem sie Produkte von Höfen beziehen, die solche nachhaltigen Leistungen erbringen und dies transparent machen. Oder indem sie ihre Lieferbetriebe dabei unterstützen, die Leistungsrechnung durchzuführen.
Ähnlich ausgerichtet ist das Mess- und Indikatorsystem für eine nachhaltige Gemeinschaftsgastronomie, das die Allianz für verantwortungsvolle Esskultur (AVE) im Februar 2025 vorgestellt hat. Hinter diesem Netzwerk stehen Pflege- und Bildungseinrichtungen, Auftragsküchen, Cateringunternehmen und Kantinen, die in der Summe täglich über 100.000 Essen zubereiten. Es wurde vom gemeinnützigen Thinktank ProjectTogether initiiert und wird von der Regionalwert Research gGmbH wissenschaftlich begleitet. Sechs Kriterien stehen für die Gemeinschaftsgastronomie der Zukunft, zum Beispiel ein hoher Anteil pflanzlicher Lebensmittel und mindestens 40 Prozent Bio-Produkte. Die Unternehmen können die Maßzahlen selbst ermitteln, etwa mit Hilfe ihres Warenwirtschaftssystems. Sie sollen regelmäßig evaluiert werden. Weiterführende Informationen finden Sie auf der Website der Allianz für verantwortungsvolle Esskultur.
Video: Online-Vortrag zum Thema
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Mittschnitt eines Online-Vortrags von Dr. Jenny Lay-Kumar im Rahmen des BZfE-Lunchtalks Ernährungstransformation.