- Die Gesundheit der Menschen hängt unmittelbar von der Gesundheit des Planeten Erde ab.
- Diese Zusammenhänge wurden erstmals 2015 im "Planetary Health Report" analysiert. So entstand die neue Wissenschaftsdisziplin "Planetary Health".
- Auch das industrielle Agrar- und Ernährungssystem trägt in hohem Maße dazu bei, dass wir die ökologischen Belastungsgrenzen der Erde überschreiten.
- Diese Erkenntnis führte zur Entwicklung der Planetary Health Diet.
- Das ist keine neue Diät, sondern eine Strategie für eine radikale Ernährungstransformation
- Sie beschreibt, was wir vom Acker bis zum Teller verändern müssen, damit künftig 10 Milliarden Menschen gesund und nachhaltig essen können.
Im Jahr 2015 veröffentlichte die Zeitschrift The Lancet den Grundlagenbericht "Planetary Health". Er zeigt, dass das industrielle Agrar- und Ernährungssystem zum Ernährungsrisiko geworden ist. Denn die globale Nahrungsmittelproduktion ist zum Beispiel für 25 Prozent der Treibhausgas-Emissionen verantwortlich – mit hohen Folgekosten für Menschen und Umwelt. Durch die künstliche Düngung sind außerdem die Stickstoff- und Phosphorkreisläufe aus dem Gleichgewicht geraten.
Neue Allianzen und Akteure
Neu ist die Diskussion um die ökologischen Grenzen der Erde nicht. Schon vor 50 Jahren beschrieb der Club of Rome in dem Gutachten die „Die Grenzen des Wachstums“ die dramatischen Folgen eines "weiter so wie bisher". Neu sind die Akteur*innen und Allianzen, die dieses Thema vorantreiben. Dazu gehören neben der Wissenschaft, auch Vertreter*innen der Politik, staatliche Behörden, Gremien wie die Weltgesundheitsorganisation WHO, Kommunen, Kirchen und unzählige bürgerschaftlich organisierte Initiativen und Organisationen. Im Jahr 2011 schließlich veröffentlichte die Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation der Vereinten Nationen FAO eine Definition von nachhaltiger Ernährung. Sie wurde im Rahmen des Symposiums „Biodiversität und Nachhaltigkeit gegen Hunger“ erarbeitet.
Definition einer nachhaltigen Ernährung
Nachhaltige Ernährungsweisen haben geringe Auswirkungen auf die Umwelt, tragen zur Lebensmittel- und Ernährungssicherung bei und ermöglichen heutigen und zukünftigen Generationen ein gesundes Leben. Sie schützen und respektieren die biologische Vielfalt und die Ökosysteme, sie sind kulturell angepasst, verfügbar, ökonomisch gerecht und bezahlbar, ernährungsphysiologisch angemessen, sicher und gesund, und verbessern gleichzeitig die natürlichen und menschlichen Lebensgrundlagen.
Quelle: FAO (Food and Agriculture Organization of the United Nations) (2012): Final Document. In: Burlingame B, Dernini S (Hrsg.): Sustainable diets and biodiversity - Directions and solutions for policy research and action. Proceedings of the International Scientific Symposium Biodiversity and Sustainable Diets United Against Hunger. FAO, Rome, Übersetzung durch die Autorin.
Die planetaren Belastungsgrenzen
Rein rechnerisch produzieren wir weltweit genügend Lebensmittel für alle Menschen. Dies geschieht allerdings unter massiver Überschreitung der planetaren Belastungsgrenzen von denen alles Leben auf der Erde abhängt. Die gute Nachricht der Wissenschaftler*innen ist: Wir können 10 Milliarden Menschen auf der Erde mit gesunden Lebensmitteln versorgen und gleichzeitig unsere Lebensgrundlagen erhalten. Die Planetary Health Diet beschreibt, wie wir das Agrar- und Ernährungssystems verändern müssen, damit das gelingt.
Worum geht es genau bei den planetaren Grenzen?
Das Konzept der planetaren Grenzen wurde erstmals im Jahr 2009 publiziert. Ein internationales Team aus gut 30 Wissenschaftler*innen um Johan Rockström hatte es entwickelt. Rockström war damals Gründungsdirektor des Stockholm Resilience Center. Heute ist er Direktor des Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung (PIK). Das Forschungsteam untersuchte, wovon das Leben auf der Erde abhängt und ermittelte neun ökologische Systeme (siehe Grafik).
Schon damals waren drei von neun planetaren Grenzen überschritten. Das waren die Zunahme der Erderwärmung, die Zerstörung der biologischen Vielfalt und die Freisetzung von Stickstoff und Phosphor in der Umwelt (biochemischen Kreisläufe). Unser industrielles Ernährungssystem trägt ganz wesentlich zur Überschreitung diese Belastungsgrenzen bei. Die Freisetzung von Stickstoff hat sich zum Beispiel in den vergangenen hundert Jahren verzehnfacht. Das passierte im Wesentlichen durch die Verwendung von künstlichen Düngemitteln in der Landwirtschaft, aber auch durch intensive Tierhaltung. Nach Angaben des Bundesministeriums für Ernährung und Landwirtschaft (BMEL) gehen gut 25 Prozent der Treibhausgas-Emissionen in Deutschland auf das Konto des Agrar- und Ernährungssystems.
Aktuell sind sechs von neun planetaren Grenzen überschritten
Mittlerweile liegt das vierte Forschungs-Update zu den planetaren Belastungsgrenzen vor. Es zeigt, dass die Menschheit bereits bei sechs planetaren Grenzen den sogenannten „sicheren Handlungsbereich“ verlassen hat. Dazu gehört die Belastung der Erde mit unbekannten Substanzen wie Mikroplastik oder Chemikalien. Kritisch ist auch die Veränderung der Landnutzung, zum Beispiel durch Rodung von Urwäldern für die Herstellung von Futter- oder Lebensmitteln. Auch die planetare Grenze für Süßwasser wurde überschritten, genauer: die für das „grüne Wasser“.
Noch innerhalb der planetaren Belastungsgrenzen liegen die Versauerung der Ozeane und der Ozonabbau. Für die Belastung der Atmosphäre mit Schwebeteilchen gibt es noch keine Daten.
3 Fragen an Prof. Dr. Dieter Gerten, Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung (PIK)
1. Herr Dr. Gerten, was ist grünes Wasser?
Grünes Wasser ist das Wasser, das im Boden gespeichert wird. Es sorgt für die Vegetation, die grüne Welt um uns herum. Zu grünem Wasser gehört auch das Wasser, das verdunstet und in Form von Wolken kondensiert. Blaues Wasser ist alles, was wir sehen können und was fließt, zum Beispiel in Flüssen, Seen und Talsperren. Aber auch das Grundwasser und das Wasser, das zur Bewässerung eingesetzt wird, wird zum blauen Wasser gezählt.
Und was bedeutet es, dass beim grünen Wasser die planetare Grenze überschritten ist?
Es wird in vielen Gebieten der Erde viel trockener im Boden, in anderen Gebieten allerdings auch nasser. In Deutschland haben wir ein wechselhaftes Klima, sodass hier sowohl die Überflutungen als auch die Trockenheit zunehmen: Der Regen konzentriert sich auf weniger Tage. Dazwischen gibt es längere Trockenphasen. Die Klimamodelle zeigen, dass es in Zukunft noch viel trockener wird. Das hat natürlich direkten Einfluss auf das Pflanzenwachstum und in der Landwirtschaft auf die Ernte.
Was können wir dagegen tun?
Die wichtigste Maßnahme ist, dass wir die Erderwärmung begrenzen. Denn die Trockenheit wird ganz wesentlich durch den Klimawandel bedingt. Dazu müssen alle beitragen, die Landwirtschaft, die Bürger*innen mit ihren Lebensstilen und auch die Politik. Denn auch das zeigen unsere Modellierungen: Es ist möglich, 10 Milliarden Menschen gesund und nachhaltig zu ernähren. Das braucht einen radikalen Umbau der Landwirtschaft in vielen Regionen. Die Politik ist gefordert, entsprechende Fördermöglichkeiten zu eröffnen.
Über unseren Konsum beanspruchen wir aber auch Wasser in anderen Weltgegenden, zum Beispiel bei Tomaten aus Südspanien. Das ist eine sehr heiße, trockene Region im Sommer, in der viel beregnet wird. Von den Verbraucher*innen wünsche ich mir daher mehr Bewusstsein über die globalen Zusammenhänge. Was habe ich heute gegessen? Wurden Wasser und Land für Tierfutterproduktion verwendet, die man vielleicht auch anders hätte nutzen können? Wurde dafür vielleicht ein Wald gerodet? Wer arbeitet da eigentlich auf den Feldern unter welchen Bedingungen? Mit einer Reduktion des Fleischkonsums kann man bereits verschiedenen Umweltproblemen begegnen. Man muss aber auch fragen: Was landet eigentlich im Supermarkt und zu welchem Preis? Denn die Umweltauswirkungen sind ja im Preis nicht enthalten.
Ursachen: falsche Prioritäten, fehlendes Wissen, zu wenig Mitgefühl
Wie kommt es eigentlich dazu, dass wir unsere eigenen Ernährungs- und Lebensgrundlagen vernichten? Diese Frage wurde bereits 2015 im Planetary Health Report reflektiert. Die Wissenschaftler*innen haben drei Problembereiche identifiziert:
- Herausforderungen an unsere Vorstellungskraft – falsche Konzepte und zu wenig Mitgefühl: Die Abhängigkeit westlicher Gesellschaften vom Bruttosozialprodukt als Maßstab menschlichen Fortschritts sei ein konzeptioneller Fehler. Hinzu kommen falsche Prioritäten. Kurzfristige Gewinne sind wichtiger als die Gesundheit in der Zukunft und die Erhaltung der Erde.
- Herausforderungen für Wissenschaft und Kommunikation – fehlendes Wissen: Dieser Punkt beschreibt unsere Unfähigkeit, die sozialen und ökologischen Ursachen von Krankheit angemessen zu adressieren, aber auch den Mangel an transdisziplinärer Forschung, bei der Praktiker*innen und Wissenschaftler*innen auf Augenhöhe zusammenarbeiten.
- Herausforderung für die Politik – Umsetzungsfehler: Regierungen und Institutionen erkennen Gefahren zu spät und handeln zu spät, vor allem wenn es Unsicherheiten bei der Risikobewertung gibt, wenn Gemeingüter wie Wasser, Land und Luft betroffen sind und wenn eine Zeitverschiebung zwischen Ursache und Wirkung besteht.
Lösungen: die planetare Agrar- und Ernährungsstrategie
Die "Planetary Health Diet" wurde im Jahr 2019 von der EAT-Lancet-Kommission veröffentlicht, einem Forschungskonsortium, dem 37 Wissenschaftler aus unterschiedlichen Disziplinen und 16 Ländern angehörten. Sie beschreibt nicht eine neue Diät, sondern eine "radikale Strategie zur Transformation des Ernährungssystems", so die Autor*innen. Wenn wir unsere Lebensgrundlagen erhalten wollen, dann müssen nicht nur anders essen. Wir müssen auch ändern, was auf unseren Feldern wächst, was in den Supermärkten liegt, was in Restaurants und Kantinen angeboten wird. Ein Jahr später publizierte das Potstdam Instituts für Klimafolgenforschung eine ähnlich umfangreiche Studie, sie unterstützt und vertieft die Ergebnisse der EAT Lancet Kommission (siehe Vortrag von Prof. Dr. Gerten unten).
Ziele der Planetary Health Diet – viel mehr als ein Speiseplan
Zu den wissenschaftlich fundierten Zielen der EAT-Lancet-Kommission gehören Empfehlungen für eine nachhaltige Ernährungsweise. Auf unseren Tellern muss künftig viel mehr Obst und Gemüse, Hülsenfrüchte und Nüsse liegen und viel weniger Fleisch, damit künftig alle Menschen gut und nachhaltig essen können.
Aber es gibt ein Problem: Wenn wir ab morgen alle nach den Prinzipien der Planetary Health Diet einkaufen würden, dann wären die Regale in den Supermärkten schnell leer. Denn viele der empfohlenen Lebensmittel werden weder in Deutschland noch weltweit in ausreichender Menge angebaut. Das heißt: Nicht nur auf den Tellern, sondern auch auf unseren Feldern, im Lebensmittelhandwerk, in Industrie und Handel sowie in Großküchen muss sich viel ändern, damit wir 10 Milliarden Menschen gesund und nachhaltig ernähren können.
Wir brauchen vom Acker bis zum Kompost
- mindestens 50 Prozent mehr Obst und Gemüse, aber auch Fisch aus Aquakultur,
- ein Vielfaches mehr an Nüssen und Hülsenfrüchten sowie
- deutlich weniger Fleisch (für Europa sieht die EAT-Lancet-Kommission eine Reduktion um 75 Prozent vor), außerdem
- 50 Prozent weniger Lebensmittelabfälle.
Die Frage ist also nicht mehr, ob wir mehr pflanzliche Lebensmittel und weniger Fleisch produzieren und essen. Die Frage lautet nur noch, wie wir das auf eine gute und nachhaltige Art und Weise schaffen können. Denn die Alternative ist die Zerstörung der planeteren Ökosysteme, deren Teil wir sind (s. o.).
Mehr zu den Ernährungsempfehlungen der Planetary Health Diet erfahren Sie in unserem Artikel Planetary Health Diet – Strategie für eine gesunde und nachhaltige Ernährung.
Die Forschenden der EAT-Lancet-Kommission betonen in ihrem Report, dass die „Planetary Health Diet“ und ihre definierten Ziele für eine nachhaltige Lebensmittelerzeugung nur innerhalb der planetaren Grenzen bleiben, wenn gleichzeitig die Lebensmittelabfälle halbiert werden. Insgesamt haben sie fünf sofort umsetzbare Strategien entwickelt, wie eine nachhaltige Ernährungswende gelingen könnte. Dazu gehören neben der ökologischen Intensivierung der Landwirtschaft internationale Vereinbarungen zum Schutz der Meere, Werbeverbote für wenig gesundheitsförderliche und nachhaltige Lebensmittel, wahre Lebensmittelpreise (True Cost – Wahre Kosten) sowie eine nachhaltige Schulverpflegung für alle Kinder.
Die Studien der Planetary-Health-Forschung machen deutlich: Eine zukunftsfähige Ernährungsversorgung wird es nur geben, wenn die Transformation des Agrar- und Ernährungssystems gelingt. Und wenn es einfach und selbstverständlich ist, dass alle Menschen gleichermaßen Zugang zu leckeren, gesunden Lebensmitteln aus einer intakten Umwelt haben.
# BZfE-Forum „Essen wird anders – Ernährung und die planetaren Grenzen“
Prof. Dr. Dieter Gerten vom Potsdam Institut für Klimafolgenforschung (PIK) erklärt in seiner Keynote beim 4. BZfE-Forum „Essen wird anders – Ernährung und die planetaren Grenzen“, warum unser Ernährungssystem die Belastungsgrenzen der Erde überschreitet und wie wir das ändern können.
Abstract der Keynote von Prof. Dr. Dieter Gerten (PDF-Download)
„Es gab viele landwirtschaftliche Revolutionen in den letzten zehntausend Jahren der Menschheitsgeschichte. Wir sind vielleicht mitten in einer weiteren, und es könnte die wichtigste sein“.
Professor Jules Pretty OBE, University of Essex
Report "The Hidden Cost of UK Food" 2019