"Die Klimakrise entscheidet, wie wir in Zukunft leben. Die Biodiversitätskrise entscheidet, ob wir überleben", sagt Prof. Dr. Katrin Böhning-Gaese, Biologin, Professorin an der Goethe-Universität Frankfurt und Direktorin des Senckenberg Biodiversität und Klima Forschungszentrums.
Die biologische Vielfalt – auch Biodiversität genannt – beschreibt die Vielfalt der Ökosysteme und der Arten sowie die genetische Vielfalt innerhalb der Arten. Sie ist die Lebensgrundlage für uns Menschen. Denn wir leben von Luft, Wasser und Nahrungsmitteln und nutzen die Natur darüber hinaus für vielfältige Zwecke. Die menschlichen Eingriffe in natürliche Ökosysteme haben aber dazu geführt, dass die biologische Vielfalt zurückgegangen ist. Laut Untersuchungen der IPBES (Intergovernmental Platform on Biodiversity and Ecosystem Services) ist weltweit ein Viertel aller erfassten Arten gefährdet. Bis zu einer Million der geschätzt acht Millionen Tier- und Pflanzenarten sind direkt vom Aussterben bedroht.
Das haben wir jedoch viel seltener im Blick als das Klima bzw. CO2-Emissionen, wenn wir über die Gesundheit der Erde sprechen. Dabei ist das Zusammenspiel von Mikroorganismen, Pilzen, Pflanzen und Tieren die Basis dafür, dass natürliche Kreisläufe funktionieren und das Klima stabil ist. Daher plädieren viele Forschende dafür, Klima- und Artenschutz zusammen zu denken. Hier sind auch wir Verbraucherinnen und Verbraucher gefragt, um durch unsere Art zu essen eine vielfältige Landwirtschaft zu unterstützen.
Vielfalt auf dem Acker für mehr Vielfalt auf dem Teller …
Über die Hälfte der Fläche Deutschlands wird landwirtschaftlich genutzt. Die Landwirtschaft hat also großen Einfluss auf die Artenvielfalt. Der ist leider oft nicht positiv: Immer größere, intensiv bewirtschaftete Betriebe verdrängten kleinteilig organisierte Strukturen mit vielfältigem Anbau. Die Vielfalt an Tierrassen und Nutzpflanzen wurde zugunsten höherer Erträge auf wenige Züchtungen beschränkt. Und der Einsatz von Dünge- und Pflanzenschutzmitteln sorgt ebenfalls dafür, dass viele Arten keinen Lebensraum mehr finden.
Daher ist es eine wichtige Aufgabe, die Agrobiodiversität – also die Vielfalt der Pflanzen- und Tierarten sowie der Ökosysteme – zu fördern. Dazu müssen klima- und umweltschonende Landnutzungsformen ausgebaut werden, die sich stärker an Naturschutzzielen orientieren, wie dies im Ökolandbau umgesetzt wird. Viele ökologische Vorteile bietet auch das Konzept der Agroforstwirtschaft. Hier werden zum Beispiel Bäume mit Gemüsekulturen – und manchmal auch mit Tierhaltung – kombiniert, was unter anderem nicht nur die Bodenfruchtbarkeit erhöht und das Grundwasser schützt, sondern auch die Biodiversität fördert. Damit sich der Aufwand für solche nachhaltigen Wirtschaftsweisen für die landwirtschaftlichen Betriebe lohnt, müssen sie ihre Produkte auch zu angemessenen Preisen verkaufen können. Wenn Sie also so einen Betrieb in der Nähe haben: kaufen Sie direkt dort ein.
… und umgekehrt
Wir können einen wichtigen Beitrag für mehr Agrobiodiversität leisten – sowohl in der eigenen Küche als auch in der Gemeinschaftsgastronomie: Je bunter und bewusster wir kochen und essen, desto besser für die Biodiversität. Dabei haben Kantinen, Mensen und Co. durch täglich knapp 40 Millionen ausgegebene Portionen Essen einen besonders großen Hebel. Durch eine breitere Auswahl von Lebensmitteln können landwirtschaftliche Flächen mit unterschiedlichen Nutzpflanzen und vielfältigen Sorten bewirtschaftet werden. Und gleichzeitig sind die Betriebe bei den sich ändernden Klima- und Umweltbedingungen gut aufgestellt. Wie eine abwechslungsreiche und gesunde Ernährung aussieht, die die biologische Vielfalt fördert, zeigt beispielsweise der bunte Teller des Forschungsprojekts BiTe.
BiTe
Das Forschungsprojekt BiTe (Biodiversität über den Tellerrand) bietet wissenschaftlich fundierte und praxisnahe Handlungsempfehlungen zur nachhaltigen Gestaltung der Gemeinschaftsverpflegung, zum Beispiel in der Betriebskantine, der Schulmensa oder im Pflegeheim. Zudem stellt BiTE Materialien zur Ansprache von Tischgästen zur Verfügung, die den Zusammenhang zwischen Essen und Biodiversität beleuchten.
Biodiversität beim Essen – der bunte Teller zeigt, wie es gehen kann
Der bunte Teller zeigt, wie groß die jeweiligen Anteile der verschiedenen Lebensmittelgruppen in einer für Mensch und Umwelt günstigen Ernährung sind. Als Basis dienen die Empfehlungen der Planetary Health Diet.
Die größten Stücke des Kuchens – 27 und 25 Prozent – machen Gemüse und stärkehaltige Gemüse sowie Getreide und Pseudogetreide aus. Beide Lebensmittelgruppen verursachen im Vergleich zu anderen geringe Umweltbelastungen und sollten daher Bestandteil jeder Mahlzeit sein. Bei Gemüse ist vor allem die Saisonalität wichtig: Was aus dem Freiland oder aus dem unbeheizten Gewächshaus verfügbar ist, sollten Sie auf jeden Fall bevorzugen. Bei Getreide gilt: Vollkorn ist Trumpf. Gut, wenn es aus Europa stammt. In Deutschland sind außerdem Kartoffeln optimal für eine nachhaltige, gesunde und sättigende Mahlzeit.
Auch Obst gehört jeden Tag dazu (18 %). Entscheidend ist, dass es mehrheitlich aus heimischem Anbau stammt. Sollen es doch einmal Südfrüchte sein, dann wählen Sie solche, die mit dem Containerschiff statt mit dem Flugzeug transportiert wurden.
Der biodiverse Speiseplan enthält außerdem sieben Prozent Hülsenfrüchte. Wegen ihres hohen Eiweißgehaltes sind sie eine gute Alternative für tierische Produkte, die auf dem bunten Teller nur wenig Platz haben: Milch und Milchprodukte (6 %), Fleisch (4 %), Fisch (3 %) und Eier (2 %). Wenn tierische Komponenten auf dem Teller sind, ist es optimal, wenn sie aus artgerechter Haltung (wie Weidehaltung oder Bio) stammen. Entscheidend ist es, solche Lebensmittel zu reduzieren, die besonders starke Auswirkungen auf die Umwelt haben. Dies sind in erster Linie Fleisch und andere tierische Produkte. Wenn Sie diese in Rezepten gegen pflanzliche Alternativen austauschen, wirkt das auch dem potenziellen Artenverlust entgegen.
Klein ist auch der Anteil von Nüssen (5 %), dafür aber bedeutend: Nüsse liefern wichtige ungesättigte Fettsäuren, die sich günstig auf das Herz-Kreislauf-System auswirken. Da Nüsse (noch) kaum in Deutschland angebaut werden, werden sie überwiegend importiert. In kleinem Umfang ist eine heimische Versorgung mit Kürbis- und Sonnenblumenkernen sowie Walnüssen möglich. Nüsse schmecken als Snack, als Topping für Salate und andere Gerichte oder in Aufstrichen und Dips.
Ebenfalls fünf Prozent sind auf dem bunten Teller für pflanzliche Öle vorgesehen. Diese liefern ebenfalls wichtige ungesättigte Fettsäuren, haben aber relativ hohe Auswirkungen auf die Umwelt. Bevorzugen Sie Rapsöl, da es ein gesundes Fettsäuremuster hat und in Deutschland produziert wird. Andere Öle wie Olivenöl können Sie für den mediterranen Geschmack ergänzen.
Der bunte Teller ist ein anschauliches Modell dafür, wie eine klima- und umweltfreundliche Ernährung nach der Planetary Health Diet aussehen könnte und lässt sich auch durch die neuen lebensmittelbezogenen Ernährungsempfehlungen der Deutschen Gesellschaft für Ernährung (DGE) umsetzen. Die Grafik, die Sie unter diesem Text herunterladen können, geht noch weiter ins Detail und zeigt innerhalb der Tortenstücke anhand von Ebenen an, wie empfehlenswert die einzelnen Zutaten innerhalb der Lebensmittelgruppen sind. Je höher die Ebenen innerhalb der Stücke, desto besser für den Erhalt der Biodiversiät.
Die BiTe-Empfehlungen "Der bunte Teller" können Sie hier als PDF herunterladen: bite-projekt.com/downloads
Anschaulich ist eine klima- und umweltschonende Ernährung auch auf folgendem Teller dargestellt.
Erläuterungen dazu finden Sie im Infokasten „Klimaschonendes Essen ist pflanzenbetont“ in unserem Artikel Ernährung und Klimaschutz – Fünf Klimatipps fürs Essen und Trinken. Hier zeigt sich, dass eine pflanzenbetonte Ernährungsweise nicht nur gut fürs Klima ist, sondern auch gut für die anderen ökologischen Belastungsgrenzen unseres Planeten, einschließlich der Biodiversität. Stammen die Zutaten aus nachhaltiger und möglichst heimischer Erzeugung, ist schon viel für den Erhalt der biologischen Vielfalt getan – egal ob zu Hause oder in der Gemeinschaftsgastronomie.